DIE GROSSE KOALITION VERZICHTET AUF POLITIK – SCHÖN FÜR LOBBYS : Gewählte Machtlosigkeit
Die Koalitionsverhandlungen haben noch gar nicht begonnen, da sind sie faktisch schon beendet. Bereits vorab haben Union und SPD entschieden, dass sie nicht viel entscheiden werden. So wollen die Koalitionäre zwar die Subventionen kürzen – am liebsten jedoch nach der „Rasenmähermethode“. Jede staatliche Zuwendung soll um den gleichen Prozentsatz sinken. Damit wird bewusst auf Politik verzichtet; klar haben die Parteien erkannt, dass sie nicht gegen die Lobbyinteressen durchdringen würden. Die Union hat die Macht noch gar nicht erobert, da fühlt sie sich schon machtlos.
So ist es auch bei der Einkommensteuer. Den Spitzensatz wollte die Union eigentlich von 42 auf 39 Prozent senken, doch nun hat auch sie bemerkt, dass die Haushaltsdefizite weitere Steuergeschenke nicht zulassen. Wo Konzepte nicht mehr zu finanzieren sind, werden Scheingefechte umso wichtiger, um sich mit Profil auszustatten.
Besonders beliebt beim folgenlosen Politikmarketing: die AKW-Laufzeiten. Einige Unionspolitiker tun noch immer so, als sei der Ausstieg aus dem Ausstieg noch denkbar. Ist er aber nicht. Selbst die AKW-Betreiber haben sich auf das Aus der Anlagen eingerichtet. CDU-Chefin Merkel kassierte nur ein kaltes Nein von den Betreibern, als sie im Wahlkampf vorschlug, die Meiler länger laufen zu lassen und dafür die Strompreise zu senken.
In den Koalitionsverhandlungen werden viele Menschen viel Zeit verschwenden. 17 Arbeitsgruppen sollen tagen – und dürften dabei vor allem Makulatur produzieren. So jedenfalls war es beim letzten Koalitionsvertrag, den die SPD 2002 mit den Grünen schloss. Nichts kam dort vor, was später entscheidend wurde. Stichwort Hartz IV. Dieses Phänomen dürfte sich nun wiederholen: Ängstlich wird ein harmloser Koalitionsvertrag des „Weiter so“ verfasst. Schade, dass die Realität nicht genauso harmlos ist. Dort drängen viele lästige Verteilungsprobleme, ob bei den Renten, der Pflege oder den Arbeitslosen. Dabei dürfte jeder verlieren, der keine starke Lobby hat. Denn eine Politik, die sich machtlos fühlt, wird den Machtlosen nicht helfen.
ULRIKE HERRMANN