IM IRAK WIRD ES KEINEN KONSENS ÜBER GERECHTIGKEIT GEBEN : Symbol Saddam
„Schuldig im Sinne der Anklage“, daran dürften im Falle des einst brutalsten Diktators der arabischen Welt wenig Zweifel bestehen. Wenn Saddam Hussein heute vor seine irakischen Richter tritt, dann ist ihm am Ende der Strick gewiss. Und doch ist es wichtig, dass der arabische Stalin in einem fairen Prozess verurteilt wird, um den Eindruck von Siegerjustiz zu vermeiden. Denn das Verfahren findet nicht in einem politischen Vakuum statt.
Anders als etwa Nachkriegsdeutschland während der Nürnberger Prozesse befindet sich der Irak in einer völlig instabilen Situation. Es herrscht ein Kleinkrieg zwischen Aufständischen, US-Truppen und Regierung, ein Bürgerkrieg droht. Sicher ist eigentlich nur, dass das alte Regime nicht wieder zurückkehren wird. Kann in einer solchen Situation ein fairer Kriegsverbrecherprozess stattfinden, der nicht ins Politische abgleitet? Das ist nur schwer vorstellbar.
Da sind einmal die USA, die ihren Krieg rechtfertigen möchten, nach dem Motto: wir haben zwar keine Massenvernichtungswaffen gefunden, dafür aber den Diktator vor Gericht gebracht. Zudem ist da das Gerangel zwischen den verschiedenen Volks- und Religionsgruppen im Irak selbst. Schiiten und Kurden würden Saddam lieber heute als morgen hängen sehen. Die Sunniten würden ihn am liebsten vergessen und ihren Platz im neuen Irak finden. Und doch ist Saddam und die Frage, wie er behandelt wird, für sie ein Symbol. Die Sunniten misstrauen allem Neuen im Irak. Der Streit um die Auszählung ihrer Stimmen im Verfassungsreferendum hat dieses Gefühl erneut verstärkt. Ein von den Besatzern ins Leben gerufenes, von US-Anwälten beratenes und von US-Geldern bezahltes irakisches Tribunal dürfte wenig dazu beitragen, ihren Argwohn zu zerstreuen.
Ein Prozess gegen Saddam kann manches erreichen: Rache üben, der Wahrheitsfindung dienen, Gerechtigkeit schaffen oder die Geschichte aufarbeiten. Über Wahrheit und Gerechtigkeit wird es aber keinen irakischen Konsens geben. Und die Iraker können ihre Geschichte kaum aufarbeiten, wenn sie in eine blutige Gegenwart verstrickt sind – und der Blick nach vorne noch Schlimmeres erahnen lässt. KARIM EL-GAWHARY