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MIT RELIGION BRAUCHT MAN MIR EIGENTLICH NICHT ZU KOMMEN – DIE SAGT ZU OFT: „DU BIST FALSCH! WERDE ANDERS!“ UMSO ERFREULICHER, WENN DIE KIRCHE ES ANDERS HANDHABTHoffnungszeichen aus dem Pfarrhaus

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Ja, und da weiß ich jetzt nicht, was ich da machen soll“, sagte ein Verwandter vor Kurzem, „weil der hat mir ja eigentlich nichts getan.“ Ich will nicht genauer werden, weil es sich tatsächlich um meine eigene Verwandtschaft handelt. Dass einer einem noch nichts tut, damit, dass er anders ist als man selbst, das ist immerhin eine Erkenntnis. Mit reinem Sein tut man ja auch keinem etwas.

Im Fall des Verwandten ging es darum, dass Stimmen für die Absetzung eines Pfarrers gesammelt werden sollten, weil man herausgefunden hatte, dass jener Pfarrer schwul sei. Dass mein Verwandter, ein Landwirt und Rentner, der selbst im Kirchenrat sitzt, sich dabei nicht wohl fühlte, dass er da nicht mitmachen wollte, spricht ein bisschen für ihn. Gehört der Mann doch einer Generation an, die da im besten Fall vielleicht nichts mehr gegen das Schwul- oder Lesbischsein sagen will, die sich aber immer noch schwer tut, es als etwas „Normales“ anzusehen.

So etwas wurde bei uns zu Hause, als ich Kind war, nur flüsternd und andeutungsweise erzählt. Wen es betraf, der wurde belächelt und auch etwas bemitleidet. Immerhin wurde in meinem Elternhaus anerkannt, dass „die“ anscheinend nichts dafür konnten – und auch nicht anders konnten. Nur „normal“, das waren sie eben nicht. Normal war, wenn einer seine Frau verhaute oder fremd ging.

Heute und in der Großstadt ist es anders. Da gibt es schwule Bürgermeister, da outen sich Lehrer, und ankommenden Flüchtlingen wird die „Normalität“ des Schwul- oder Lesbischseins beigebracht. Nur die Religionen tun sich noch schwer damit, manche stellen es gar unter Strafe. Ich wiederum tue mich schwer mit Religionen, aber ich schätze, das juckt die Religionen nicht. Offensichtlich fühlen sich aber auch homosexuelle Menschen mal dazu berufen, einen religiösen Beruf zu ergreifen, obwohl es ihnen klar sein muss, dass sie es schwer damit haben werden; das reine Homosexuellsein verbietet im Großen und Ganzen keine Kirche, wohl aber, es auch zu leben.

Ein homosexueller Mensch, der eine heterosexuelle Beziehung führt, Kinder zeugt und sein Begehren unterdrückt, der vermutlich also auf Liebe verzichtet: Der wird kaum auf Kritik stoßen. Auch der Pfarrer, von dem eingangs die Rede war, hätte sich durch geheimes Schwulsein kaum Feinde gemacht. Im Geheimen ist sicher auch der eine oder andere Bauer schwul. Für so eine Art Schwulsein hat man da Verständnis. „Muss man denn“, höre ich da auch noch meine Mutter fragen, „das so offen machen?“ Und eigentlich meint das: Man sollte besser nicht.

Aus diesen ganzen Gründen ist es sehr erfreulich, dass es Meldungen wie diese gibt: Die evangelische Nordkirche hat in Sandesneben zwei miteinander verheiratete Pastoren ins Amt aufgenommen. Das ist so ungewöhnlich, dass es in den Zeitungen steht.

Ich habe meiner Mutter schon öfter geantwortet: „Sie müssen nicht. Aber sie wollen es vielleicht und sie müssen es dürfen.“ Die evangelische und auch die katholische Kirche verliert stetig Mitglieder, viele jüngere Gläubige finden sich darin nicht wieder; da kann eine Entwicklung, eine Veränderung vielleicht wieder welche anlocken. Ich fand es immer einen der größten Fehler der Religionen, dass sie so oft sagen: „Du bist falsch. Du fühlst falsch. Sieh zu, dass du anders wirst.“

Ein User, der sich „normaler“ nennt, kommentiert das schwule Pastorenpaar auf der Internetseite des NDR so: „Das ist nicht meine Welt …“ Ich möchte ihm von dieser Stelle aus sagen: Nein, das ist sie auch nicht. Es ist unsere Welt. Sie gehört uns allen. Ob dir das gefällt oder nicht. Wir dürfen alle hier sein und wir dürfen lieben, wen wir lieben. Ein schwules Pfarrerpaar, das ist mal ein Zeichen der Hoffnung, und das in der norddeutschen Provinz, das finde ich richtig gut – auch wenn ich nicht glaube, zumindest nicht an Gott.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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