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Archiv-Artikel

Demokratie hat es jetzt nicht leichter

Der Bundestag wählt sein Präsidium – nur Lothar Bisky (Linke) verweigert er die Zustimmung

BERLIN taz ■ Der frisch gewählte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte dem 16. Deutschen Bundestag gestern dessen eigene Bedeutung: „Hier schlägt das Herz der Demokratie – oder es schlägt nicht.“

Wie es um seinen Sinn für Demokratie steht, bewies der Bundestag ein paar Stunden später, am frühen Abend. Er verweigerte dem Kandidaten der Linkspartei.PDS, Lothar Bisky, für einen der sechs Stellvertreterposten im Präsidium die Zustimmung. In den ersten beiden Wahlgängen bekam Bisky keine absolute, im dritten Wahlgang auch nicht die relative Mehrheit. Die Zahl der abgegebenen Stimmen schrumpfte dabei stetig. Zuletzt machten sich nur noch 544 von 614 gewählten Mitgliedern des Bundestags die Mühe, abzustimmen – nur 248 jedoch mit Ja, 258 mit Nein.

Grundsätzlich schickt jede Fraktion im Bundestag „mindestens einen“ Stellvertreter für den Bundestagspräsidenten ins Präsidium. Gewählt wird dabei der Kandidat, den die Fraktion selbst benennt. Diese Regel hatte der Bundestag auch vor der Wahl bestätigt, woran Lammert im Anschluss an Biskys Niederlage die sich leerende Runde noch einmal erinnerte. Doch weitere Wahlgänge ordnete er gestern zunächst nicht an – sondern lud, wenn auch sichtlich schlecht gelaunt, zu einem kleinen Imbiss. Einen anderen Kandidaten als Bisky zu benennen, schloss die parlamentarische Geschäftsführerin der Linken Dagmar Enkelmann zunächst aus: „Wir werden nicht jeden unserer 54 Abgeordneten zur Wahl stellen, bis der Bundestag einen zu wählen geruht.“

Laut ersten umlaufenden Gerüchten waren es vor allem rechte SPDler, aber auch Unions-Abgeordnete, die den Linkspartei-Kandidaten nicht im Präsidium sehen wollten. SPD-Linke und Grüne eilten dagegen zur Linkspartei, um sie ihrer Solidarität zu versichern.

Reibungslos waren zuvor nicht nur Lammert selbst zum Präsidenten, sondern auch Hermann Otto Solms für die FDP, Katrin Göring-Eckardt für die Grünen und Gerda Hasselfeldt für CDU/CSU zu seinen Vizes gewählt worden. Die SPD stellt nun zwei Vertreter im Präsidium: Susanne Kastner sowie den bisherigen Präsidenten Wolfgang Thierse, der aber nur ausgesprochen schlechte 68,9 Prozent der Stimmen bekam.

Damit brach der Bundestag auch mit einer anderen Sitte. Seit 1994 bekommt jede Fraktion eigentlich nur einen Vizeposten. Doch die SPD hat sich in den Koalitionsgesprächen deren zwei gesichert. Denn es solle auch im Präsidium großkoalitionäre „Augenhöhe“ gewahrt bleiben: Lammert plus ein Unions-Vize auf der einen, zwei SPD-Vizes auf der anderen Seite – damit haben die vier auch eine sichere Übermacht gegenüber den drei Oppositionsvertretern.

Heftig kritisierte die Opposition gestern die entsprechende Änderung der Geschäftsordnung: „Keinerlei Grund“ dafür erkannte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP Jörg van Essen. „Die Geschäftsordnung darf nicht politisch missbraucht werden“, sagte seine PDS-Kollegin Dagmar Enkelmann. Der Grüne Volker Beck unterhielt das Publikum mit Zitaten von 1994, 1998 und 2002, als Unions- wie SPD-Vertreter sich „aus Überzeugung“ gegen zwei Präsidiumsvizes der jeweils anderen Seite aussprachen. „Wo ist sie denn hin, die Überzeugung?“, fragte Beck. Eine Antwort bekam er nicht. ULRIKE WINKELMANN