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Archiv-Artikel

„Eintauchen in die Stadt“

ADVENTSKALENDER Annette Hauschild fotografierte für die taz 24 Tage entlang der Buslinie M 29. Ihre Bilder zeigen, welche Welten zwischen Hermannplatz und Roseneck liegen

Annette Hauschild

■ 1969 geboren, arbeitet seit über 20 Jahren in Berlin als Fotografin. Seit 1996 ist sie Mitglied der Agentur Ostkreuz. Noch bis 30. Dezember sind Fotos von ihr im Rahmen der Ostkreuz-Ausstellung „Über Grenzen“ im Haus der Kulturen der Welt zu sehen.

INTERVIEW BERT SCHULZ

taz: Frau Hauschild, laut Fahrplan braucht der Bus M 29 von Hermannplatz bis Roseneck 64 Minuten. Was ist auf der Fahrt am auffälligsten?

Annette Hauschild: Wie sich die Zusammensetzung der Fahrgäste verändert. Das kann man auch in der S-Bahn beobachten. Aber im Bus sieht man es direkter.

Und wie sieht das aus?

Anfangs steigt Neuköllner und Kreuzberger Klientel ein – Türken und Araber, Schüler, Studenten. Am Anhalter Bahnhof wird es leerer. Und ein bisschen leiser.

Ab da passiert nicht mehr viel?

Doch, auf dem Ku’damm ist der M 29 wieder überfüllt. Aber ich habe weniger über den Bus nachgedacht als über die Stadt. Es war eine Art Eintauchen in Berlin. Eigentlich ist die Begleitung einer Reise, einer Fahrt eine ganz typische fotografische Idee. Aber ich mache das nur noch selten.

Wie ändert sich die Stadt im Laufe der Busfahrt – wird sie einfach nur schicker?

Die Internationalität ändert sich. Das Weltstädtische, das auch mit Geld einhergeht, sieht man am Potsdamer Platz oder am Lützowufer viel häufiger als am Hermannplatz. Türkisch wird durch Englisch ersetzt oder Italienisch. Am Hermannplatz ist das Weltstädtische ganz anders definiert.

Sie sind oft ausgestiegen und haben Leute angesprochen. War das schwierig?

Nein. Mich hat gewundert, wie locker die Berliner sind. Ich bin ganz offen mit der Kamera umgegangen, die Leute haben sich davon nicht abschrecken lassen.

Der M 29 ist eine reine Westlinie. Haben Sie das gemerkt?

Vielleicht ein bisschen an den Themen. Den Leuten ging es selten um die Ost-West-Problematik. Ein großes Thema war die Entwicklung, die Veränderung der Stadt – in Kreuzberg und Neukölln kam oft die Gentrifizierung zur Sprache, später auch die zunehmende Internationalität.

Welche Begegnung wird Ihnen länger im Gedächtnis bleiben?

Nehmen Sie das Bild in der Neuköllner Kneipe, die Schwestern und der Typ. Da bin ich in eine Gruppe geraten, in der jeder seine Geschichte zu erzählen und sein Päckchen zu tragen hatte. Es hatte etwas Warmherziges, wie mich die Menschen da empfangen haben. Das war sehr intensiv.

Und sonst?

Ganz am Ende habe ich die entgegengesetzte Klientel getroffen: Leute vom Lions Club, die auf der Straße Glühwein verkauft haben. Komischerweise waren die mir gegenüber genauso unvoreingenommen. Normalerweise erwartet man das ja eher von bildungsferneren Schichten.

Die brauchen eben die Presse für ihre Arbeit.

Aber sie wissen nicht, was ich daraus mache. Das ist ein exklusiver Club, der angeblich offen für alle ist. Ich habe gefragt, ob Nichtakademiker mitmachen könnten – das haben sie entschieden bejaht, allerdings ohne Beispiele zu nennen. Nur einer, ein Chirurg, sagte: „Mein Vater hatte nur Abitur und wurde trotzdem berühmt.“ Das war der Sohn von Günter Pfitzmann.

Eine Schlussfolgerung aus diesen Szenen wäre: Die Spaltung der Stadt in Arm und Reich ist gar nicht so tief.

Doch. Aber ich glaube, jeder hat sein Plätzchen gefunden. Genau diese Chance bietet ja so eine Stadt – dass man ein Ecke findet, in der man sich wohlfühlt unter seinesgleichen, wo man nicht immer nach oben oder unten schauen muss. Ich weiß nicht, ob das gut ist – aber es gibt vermutlich eine gewisse Sicherheit.

Konnten Sie Fahrgäste beim Einsteigen einem Wohnort zuordnen? Motto: „Der fährt höchstens bis Kochstraße“?

Ich bin relativ schnell darin, die Leute einzuordnen. Als Fotografin bin ich total abhängig von diesen optischen Einteilungen. Ich suche auch immer nach Bildern wie „So sieht der Russe aus“ oder „der Sozialhilfeempfänger“ oder „der vom Roseneck“. Beim taz-Adventskalender konnte ich das mit den Texten ein bisschen brechen. Ich weiß, dass man da vorsichtig sein muss: Das größte Geschimpfe zum Beispiel habe ich nicht am Hermannplatz gehört, sondern am Roseneck. Da moserte eine 80-Jährige brutal rum: „So ein Scheißwetter!“ Und ich dachte: Hui, die feine Frau, mit ihren Pumps im Winter! Irgendwie war das auch lustig.

Wie sind die Busfahrer mit Ihnen umgangen?

Die, die ich angesprochen habe, waren sehr offenherzig. Einige wollten sich auch gleich fotografieren lassen. Und sie haben mir erzählt, wie heftig ihr Job ist.

Was nervt die Fahrer?

Sie beschweren sich schon viel über Fahrgäste. Von denen werden sie angepöbelt, wenn sie unpünktlich sind. Viele Fahrer schimpfen auch darüber, dass sie nicht mehr bei der BVG selbst angestellt sind, sondern bei einem Subunternehmen – zu viel schlechteren Bedingungen.

Sind die Fahrer trotzdem nett zu den Fahrgästen?

Nett zu mir waren sie. Nett zu den Fahrgästen nicht unbedingt. Diese arschigen Busfahrer, die so typisch sind für Berlin, die habe ich schon mitgekriegt.

Die mit dem vermeintlich trockenen Berliner Humor …

Das sind nicht unbedingt Berliner. Offenbar nimmt man als Busfahrer diesen Habitus an. Diese Rotzigkeit.

Gibt es eigentlich Touristen, die die ganze Strecke abfahren?

Ist mir nicht aufgefallen. Aber der Mann vom Kiosk am Roseneck meinte, er sehe manchmal ganze türkische Familien, die rüberkommen – zum Gucken, wie man hier lebt, oder zum Schlittenfahren.

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