: Auf der Seidenstraße des Geistes
Buchmessern (3): „Literatur ist Leben“, sagte der koreanische Dichter Ko Un. Arno Geiger musste sich derweil um die Selbstvermarktung kümmern
Joschka Fischer konnte nicht kommen. Wie schon in den vergangenen Jahren, als entweder er oder Bundeskanzler Schröder für die Buchmesseneröffnungsfeier angekündigt waren, kam ein dringender politischer Termin dazwischen. Dieses Mal war es die Überreichung der ministeriellen Entlassungsurkunden. So sprang kurzfristig der hessische Ministerpräsident Roland Koch ein, um Frankfurt und die Bücher hochleben zu lassen und den koreanischen Gastrednern, dem südkoreanischen Ministerpräsidenten Lee Hae Chan und dem Starlyriker Ko Un, die Ehre zu erweisen.
Und während der neue Buchmessendirektor Jürgen Boos und der scheidende Börsenvereinsvorsteher Dieter Schormann (der sich nichts von den Querelen um seine Person anmerken ließ) die übliche deutsche Buchmessen- und Buchmarktnabelschau betrieben und entweder noch einmal auf die antiquiert anmutende Standortdebatte (Boos) oder den zögerlichen Aufschwung im hiesigen Buchhandel (Schormann) zurückkamen, sorgten Lee Hae Chan und Ko Un für die goldenen Worte dieser Eröffnungsfeier.
Lee sprach davon, dass die „riesige Informationsmenge in der heutigen digitalen Informationsgesellschaft“ nicht das gegenseitige Verständnis fördere, sondern im Gegenteil zum „Desinteresse am großen geistigen Erbe anderer Kulturen“ führe. Die Buchmesse dagegen sei „eine große geistige Seidenstraße, auf der die Kulturen von Ost und West sich treffen und durch Dialog miteinander verständigen“. Und Ko Un erinnerte an seine Kindheit, in der unter japanischer Besatzung die koreanische Sprache und Schrift verboten gewesen seien, und schlussfolgerte dann: „Literatur ist Leben.“
Das Leben auf einer Buchmesse jedoch, das sieht anders aus. Das konnte man in Mainz bei einer Buchmessenauftaktsendung des SWR gut beobachten, wie stoisch und gut eingegroovt Ingo Schulze sein Interviewprogramm zu seinem neuen Roman „Neue Leben“ absolvierte. Zum soundsovielten Mal erklärte er dort dem Moderator Martin Lüdke, warum es so lange gedauert habe und weshalb die Novelle, der Ursprung seines Romans, nicht ausgereicht habe: „Das bekam so etwas Postdissidentisches.“
So gleichmütig er auf die immergleichen Fragen die immergleichen Antworten gab, so engagiert war Schulz, seinen Roman dem Publikum nahe zu bringen. Und gelassen und ganz bei sich ging er auch sonst mit dem ganzen Trubel um seine Person um. Einen Handschlag für einen der ihm bekannten Musiker von Fön hier, ein gutes Wort für einen Kollegen dort, so bewegte er sich, wie üblich im schwarzen, postdissidentischen Outfit, durch die Räumlichkeiten des SWR und später durch den Frankfurter Hof beim Empfang seines Verlages, dem Berlin Verlag.
Für Arno Geiger dagegen, den ersten Deutschen Buchpreisgewinner, hatte der frisch gebackene Ruhm etwas Gewöhnungsbedürftiges. Obwohl todmüde, habe er in der Nacht nach der Bekanntgabe nur schwer einschlafen können, erzählte er, was nicht zuletzt an den vielen, plötzlich auf ihn einstürmenden Interviewern mit ihren Interviews im Fünfzehnminutentakt gelegen habe. Das Leben in den Büchern und das Schreiben der Bücher sind eben das eine, doch wollen sie auch vermarktet und verkauft werden, und da gilt es für jeden Schriftsteller auf einer Buchmesse in eine neue, ihm nicht immer gemäße Rolle zu schlüpfen. Auch Daniel Kehlmann dürfte davon ein Lied zu singen wissen: Für ihn begann der erste Buchmessentag damit, mit einem Journalisten gemeinsam eine Buchhandlung zu besuchen und dort die Buchwelt zu vermessen.
Ingo Schulze, Arno Geiger, Daniel Kehlmann: Es sind diese drei Autoren, die den Alltag der Buchmesse die nächsten Tage mitbestimmen werden, und ihre Bücher sind es, die auch dem deutschen Literaturbetrieb die Freude ins Gesicht zurückzaubern, vereinen sie doch literarische Qualität mit Bestsellerpotenzial. Dass das allein nicht ausreicht, um den Umsatz auf dem Gesamtbuchmarkt entscheidend in die Höhen schnellen und auch einen Dieter Schormann richtig froh werden zu lassen, steht auf einem anderen Blatt. GERRIT BARTELS