: „Ich bin nicht sehr dogmatisch“
Heute beginnt im Berliner Haus der Kulturen der Welt die Filmreihe „Wessen Terror?“, die Filme aus Südostasien vorstellt. Ein Gespräch mit dem Kurator Philip Cheah über Schuld und Scham, Verdrängung und Zensur und die Auslöschung der Erinnerung
Interview SUSANNE MESSMER
taz: Herr Cheah, Sie haben Filme über Massenmord, Folter und Zensur ausgewählt. Wie stellen Sie sich Ihr deutsches Publikum vor?
Philip Cheah: Die Zuschauer werden genauso neugierig wie erschrocken sein. Sie werden von einem Niveau des Mordens erfahren, wie sie es selbst vom Holocaust kennen. Diese Spiegelung in einer so weit entfernten Region wie Südostasien – das wird sie schockieren. Was mich besonders interessiert: Viele der Gräueltaten, die in Südostasien passiert sind, wurden bislang nicht eingestanden. Anders beim Holocaust: In Deutschland gibt es Reue.
Man sagt immer, dass es in Deutschland eine Kultur der Schuld gibt. Würden Sie sagen, dass in der südostasiatischen Region eher eine Kultur der Scham dominiert?
Es gibt kaum Gefühle der Schuld. Dafür gibt es tatsächlich viel Verdrängung. Den ausgewählten Regisseuren geht es darum, ihre Landsleute zu erinnern. Viele von ihnen sind dafür verfolgt worden. Garin Nugroho aus Indonesien zum Beispiel hat schon in der Suharto-Ära damit begonnen, Filme zu machen – und seine frühen Filme waren sehr regimekritisch. Er konnte seine Filme nur im Ausland zeigen und wurde jahrelang überwacht. Oder Rithy Panh aus Kambodscha: Er konnte seine Filme nur machen, weil er ins Exil gegangen ist. Trotzdem will er seine Leute noch immer daran erinnern, dass man die Geschichte nicht vergessen darf. Wer seine Geschichte vergisst, der ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.
Ich war sehr froh, den neuen Film von Rithy Panh in Ihrem Programm zu entdecken. Ein sehr ungewöhnlicher und berührender Film über ein paar Schauspieler, die noch immer in ihrem lang abgebrannten Theaterhaus leben.
„The Burnt Theatre“ ist der erste Film von Rithy Panh, in dem er mit der Vermischung von Fakt und Fiktion experimentiert. Das macht die Schönheit dieses Films aus. Man weiß nie genau, wann die Schauspieler schauspielern. Zum Beispiel gibt es eine wundervolle Szene am Ende des Films, in der sie alle zusammen einstimmen, als im Radio ein altes Lied gespielt wird. Es bricht einem einfach das Herz und zeigt deutlich Rithys Glauben an die Heilkraft kultureller Erinnerung. Rithy hat mir erzählt, dass dieses Theater noch in diesem Jahr abgerissen wird – wer also nächstes Jahr nach Kambodscha reisen sollte, wird es schon nicht mehr besuchen können. Die Auslöschung von Erinnerung ist auch ein terroristischer Akt in meinem Teil der Welt.
Was interessiert Sie so am Terror?
Man braucht nur die Zeitung aufzuschlagen: In England werden Leute auf der Straße von der Polizei erschossen, weil sie des Terrorismus verdächtigt werden. Das Pentagon hat vorgeschlagen, nukleare Waffen gegen potenzielle terroristische Staaten einzusetzen, die Nuklearwaffen besitzen. Das ist beängstigend. Wer beschützt hier eigentlich wen? Wir sind jedenfalls genau dazwischen. Und dennoch ist uns der Terrorismus, der uns derzeit als neuer Feind verkauft wird, lang bekannt. Die meisten der Filmemacher, deren Arbeiten ich ausgewählt habe, sind schon sehr lang aktiv. Und die meisten befassen sich noch immer, trotz ihrer fortgeschrittenen Karrieren, mit diesen Themen. Das scheint mir auch ein Zeichen dafür, wie wenig sich in Südostasien geändert hat.
Wenn man diese Filme in den Ländern ihrer Herkunft zeigen könnte: Würden sie überhaupt Zuschauer finden?
Ja und nein. Die meisten Kinos in Südostasien sind schon lang von Hollywood durchdrungen. Die Filme, die in diesem Programm zu sehen sind, sind für Minderheiten gemacht. Zum Beispiel die Arbeiten des philippinischen Regisseurs Lav Diaz, der fünf Stunden lange Film „Batang West Side“ und der elf Stunden lange Film „Evolution of a Filipino Family“: Kein Filmvorführer in Asien hätte den Mut, diese Filme zu zeigen. Trotzdem haben sich diese Filmemacher immer darum bemüht, in nichtkommerziellen Sphären ein Publikum zu finden. Garin Nugroho hat seine Filme zum Beispiel immer an Schulen und Universitäten gezeigt. Die Leute wissen also von den Filmen.
Könnte der DVD-Markt da hilfreich werden?
Leider habe ich noch keine Schwarzpressung von „Evolution of a Filipino Family“ gesehen!
Warum haben Sie auch Filme von Regisseuren aus dem Westen ausgesucht, die Filme über diese Region gemacht haben?
In einer hoch kontrollierten Gesellschaft wie der Myanmars ist es sehr schwierig, überhaupt mit Filmemachern in Kontakt zu kommen. Ich habe einige Filme aus Myanmar gesehen, aber sie waren leider filmisch uninteressant. So musste ich eben der anderen Stimme erlauben, zu Wort zu kommen. Auch, wenn das ein Problem ist.
Was meinen Sie mit filmisch uninteressant?
Es waren Videos von Aktivisten, denen es eher um die Sache ging als um die Sprache des Kinos, um Dinge wie Ton, Bild, Bewegung. Und diesem Programm ging es nun mal ums Kino.
Der Film, den Sie nun über Myanmar zeigen, „In the Shadow of the Pagodas“ von Irene Marty, ist ebenfalls nicht besonders filmisch.
Das stimmt. Irene Martys Film ist sehr journalistisch. Wir wollten unbedingt zeigen, was in Myanmar los ist. Die Situation in Myanmar ist heute wie die in Osttimor vor seiner Unabhängigkeit. Man kann da nicht frei filmen. Alles muss wie auf der Flucht geschehen, und jeder Meter Film muss herausgeschmuggelt werden.
Sie zeigen jetzt 18 Filme. Hätten Sie gern mehr gezeigt?
Es war gut, dass wir nur jüngere Arbeiten zeigen wollten. Hätten wir auch ältere zeigen wollen, wären wir sicher auf vierzig gekommen.
Halten Sie es für ein Problem, in einer einzigen Ausstellung, in „Räume und Schatten“ im Haus der Kulturen der Welt, Kunst, Film und Literatur aus einer Region zu zeigen, die eine militärische Konstruktion des Westens ist und in der Länder zusammengefasst sind, die wenig gemeinsam haben?
Oh je. Dazu kann ich wohl nur sagen, dass ich nicht besonders dogmatisch bin.
Warum haben Sie ein kleines Horrorprogramm eingebaut?
Das war die Idee des Hauses der Kulturen der Welt. Die Horrorfilme werden an Halloween gezeigt.
Was denken Sie darüber?
Ich kann wieder nur sagen: Ich bin nicht sehr dogmatisch. Ich fand das in Ordnung. Ich hatte nur ein wenig Angst um die Integrität meines Programms.
Studien haben ergeben, dass in manchen Regionen Afrikas der Kannibalismus längst verschwunden war und erst wieder auftauchte, als die Kolonialherren kamen. Was halten Sie von der Lesart, dass Monster in Horrorfilmen Produkte kolonialer Macht sind?
Die Kolonialmächte haben ihre Kolonien oft mit Waffen versorgt und das Töten verschlimmert. Manche dieser Länder haben sich rücksichtsloser benommen, als sich ihre Eroberer ihnen gegenüber benommen haben. Vielleicht ging es dabei um den Wunsch nach Anerkennung. Vielleicht dachten diese Staaten auch, dass diese Verhaltensweisen von ihnen erwartet werden.
Gab es etwas, das Sie bei der Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt schwieriger fanden als die Aufnahme von Horrorfilmen ins Programm?
Ich musste sehr hart um den Film „The Poet“ von Garin Nugroho kämpfen – einen Film über die Erfahrungen des indonesischen Didong-Sängers Ibrahim Kadir, der 1965 drei Wochen lang in einer Todeszelle festgehalten wurde, zur Zeit der Kommunistenverfolgung, als die indonesische Regierung zwischen einer halben und zwei Millionen Menschen ermordete. Das Haus der Kulturen der Welt fand den Film, der ausschließlich in einer düsteren Theaterkulisse spielt, zu statisch.
Das ist er ja auch, oder nicht?
Der Film wurde aus drei Gründen in dieser Studiosituation gedreht: Er durfte nicht viel Geld kosten. Er konnte nicht in Aceh gedreht werden, wo Ibrahim Kadir lebt und wo er damals inhaftiert wurde. Vor allem aber wollte Garin mit langen Einstellungen in geschlossenen Räumen experimentieren. Das ist genau die Stärke des Films geworden: Dieses Starre, die langen Einstellungen und die Enge produzieren Spannung. Man wird gezwungen, sich zu stellen. Man kann nicht wegsehen.
Sie haben erwähnt, dass Sie wegen dieses Programms befürchten müssen, in Ihrer Heimat terrorisiert zu werden. War das ein Scherz?
Es war ein Scherz, den man ernst nehmen kann. Alles in Singapur geschieht im Verborgenen. Viele Menschen haben heute das Gefühl, dass die Stadt sich öffnet, dass sie liberaler wird. Ich kann das nicht finden.
Wie kommt es, dass sich keiner der gezeigten Filme explizit mit der kolonialen Vergangenheit Südostasiens auseinander setzt?
Ich habe keinen gefunden. Die Rolle des Westens in Südostasien war bis in dieses Jahrhundert hinein sehr dunkel. Da Licht hineinzubringen – das wäre ein sehr schwieriges Projekt.
Ihr Filmprogramm ist ein Kontrapunkt zur Ausstellung bildender Kunst aus Südostasien, die zurzeit im Haus der Kulturen der Welt zu sehen und unter dem Titel „Politics Of Fun“ zusammengefasst ist. Was halten Sie von diesem Spaßkonzept?
Spaß kann nur eine Waffe sein, wenn man sich dessen bewusst ist. Singapur ist eine einzige Komfortzone, die einen vergessen lässt, dass man in einer Komfortzone lebt. Ich glaube, Spaß kann auch eine Art Verinnerlichung sein. Wenn man das System nicht ändern kann, ändert man sich eben selbst. Das scheint mir falsch.
Und was ist mit der Forderung des Westens an Künstler in postkolonialen Ländern, politisch engagiert zu sein? Könnte Spaß da kein Ausweg sein?
Ich hatte nie Angst vor diesen Forderungen. Für mich ging es immer darum, die lokalen Stimmen zu hören. Diese Filmemacher tun, was sie tun, weil sie wirklich daran glauben. Sie tun es nicht, weil sie sich irgendwelchen Stereotypen anpassen. Diese Filme haben keine kommerziellen Möglichkeiten, mit denen man liebäugeln könnte. Auch nicht im Westen.