: Die neue alte FDP
Wiederauferstehung Auf ihrem Bundesparteitag feiern die Liberalen ihre Erfolge. Generalsekretärin Beer beklagt Politik von Union und SPD für den „kleinen Mann“
Aus Berlin Martin Reeh
Draußen, zwischen Eingang und Parteitagshalle, stehen alle, die sich von der FDP etwas erhoffen: der Verband der Arzneimittelimporteure, Gesamtmetall, DHL, Uniper, RWE, VW, die Doc-Morris-Apotheken, der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (sprich: die Leiharbeitsbranche), die Immobilienlobbyisten vom Verband ZIA, der Deutsche Zigarettenverband und der Zigarettenhersteller Philip Morris.
So ist das mit der neuen FDP: Im Vorraum des Berliner Bundesparteitags stehen wieder die alten Lobbyverbände, und drinnen redet Wolfgang Kubicki, der Vizechef der Partei. Er begrüßt den früheren Parteichef Philipp Rösler, den er wegen des Scheiterns bei der Bundestagswahl 2013 sonst regelmäßig abgewatscht hat, diesmal aufs Herzlichste („Philipp, wir freuen uns, dass du heute da bist“). Er zitiert den kürzlich verstorbenen Ex-Chef Guido Westerwelle („The show must go on“). Und er plädiert gegen die geplanten Tabakwerbeverbote von Justizminister Heiko Maas (SPD). Philip Morris wird es freuen.
Der FDP ist nach ihrem Untergang bei der Bundestagswahl 2013 Erstaunliches gelungen: Sie hat ihre Führung ausgetauscht, scheiterte bei den Europawahlen 2014 trotzdem noch einmal, landete aber bei den Landeswahlen in Hamburg und Bremen deutlich über 5 Prozent und liegt nun in den bundesweiten Umfragen bei 7 Prozent.
„Beta Republik Deutschland“ heißt das Motto das Parteitages am Rande von Berlin-Kreuzberg: Deutschland soll Neues testen, die Digitalisierung ändert die Welt. Die Rede von Parteichef Christian Lindner dauert über eine Stunde, ist gespickt mit den üblichen Witzen über die Konkurrenz und den Sticheleien gegen die angebliche grüne Verbotspolitik. Diesmal muss ein Antrag vom grünen Bundesparteitag dafür herhalten, in dem WLAN-freie Zonen gefordert wurden – wegen der Strahlengefahr. Dass die Forderung keine Mehrheit bekam, sagt Lindner nicht.
„German Mut“ statt „German Angst“ fordert Lindner. Und dennoch setzt er auf eine Angstkampagne, wie man sie aus den neoliberalen Mobilisierungen der letzten Jahrzehnte kennt. Die anderen sind uns voraus, sagt er. Die Israelis haben überall kostenloses WLAN, die Esten brauchen nur drei Minuten für eine digitale Steuererklärung. Estland, Israel, Großbritannien, Neuseeland und Südkorea hätten sich zu den Digital Five zusammengeschlossen – „eine Kampfansage an die Ingenieurnation Deutschland“. Wir müssten nachziehen, sonst sei unser Wohlstand gefährdet.
Die Arbeitswelt werde sich wandeln, Arbeit auch auf dem Weg zum Büro oder zu Hause erledigt – das sei besonders für Frauen besser, glaubt Lindner. So sieht das Fortschrittsversprechen der Liberalen aus. Die Regelungswut der Sozialdemokraten, besonders von Andreas Nahles, steht ihm im Weg, suggeriert der FDP-Chef. Die Furcht vor einem Dienstleistungsprekariat versucht er zu zerstreuen.
Sein zweiter großer Diskurs betrifft die Rentenpolitik. Die FDP ist für ein flexibles Renteneintrittsalter. Die den Geringverdienern drohende Altersarmut durch eine höhere staatliche Rente auszugleichen lehnt Lindner ab: „Der Staat kann den Lebensstandard nicht allein garantieren.“ Stattdessen will der FDP-Chef die private Rentenvorsorge nicht mehr auf die Grundsicherung anrechnen lassen.
Aber was ist mit denen, die schon vor Renteneintritt Grundsicherung brauchen oder nicht genug Geld für eine private Vorsorge verdienen? Für die verlangt er eine Entbürokratisierung – die Grundsicherung soll künftig ohne den Gang zum Sozialamt ausgezahlt werden. Weniger Formulare, aber nicht mehr Geld für Armutsrentner – es sind die Momente, in denen der Sound der neuen Liberalen klingt wie der der alten. Zum Abschluss am Sonntag polemisiert Generalsekretärin Beer gegen die „Kleine Mann“-Politik von SPD und CDU. Man darf sicher sein: Für die „kleine Frau“ interessiert sich die FDP auch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen