: Auf Wanderschaft in die Welt
Die Auswanderung aus den südlichen Mittelmeerstaaten nimmt zu. Die vielen Hochgebildeten der jungen Emigranten wollen nicht mehr nach Europa
VON DOMINIC JOHNSON
Etwa 5,8 Millionen Einwanderer aus den nichteuropäischen Mittelmeerstaaten leben legal in der EU, die Mehrheit von ihnen in Deutschland (2,145 Millionen) und Frankreich (2 Millionen). Aber die neuen Migranten aus Nordafrika, der Türkei und dem arabischen Raum sowie aus deren Nachbarregionen machen um die klassischen EU-Länder einen Bogen. Dies sind die Kernaussagen eines Berichts über „Migration im Mittelmeerraum 2005“, den das EU-finanzierte Forschungszentrum Carim an der Europäischen Universität Florenz jetzt vorgestellt hat.
Klopfen wirklich gigantische Bevölkerungen armer Entwicklungsländer an die Türen Europas, und will sie wirklich niemand haben? Keineswegs. „Nur die Hälfte der Emigration aus der Mittelmeer-/Nahost-/Nordafrika-Region geht nach Europa“, heißt es im Bericht. „Die andere Hälfte geht in arabische Länder und andere Teile der Welt, insbesondere die USA und Kanada.“
Dies sei Teil eines „internationalen Wettbewerbs um Migranten“, schreiben die Autoren. Die junge Emigrantengeneration sei viel besser gebildet als ihre Vorgänger – „Unternehmer, Ärzte, Akademiker, hochausgebildete Techniker, Ingenieure und Angestellte der Gesundheits- und Bildungssektoren“. Von diesen Gutausgebildeten gingen fast alle nach Nordamerika und Australien, zum Teil nach Großbritannien, nicht aber nach Mittel-und vor allem nicht nach Südeuropa.
In einer weiteren Spitze gegen Europas Einwanderungsdebatte heißt es, Migration sei „ein Kernpunkt der internationalen Beziehungen im Mittelmeer“. Zentrale Forderungen der südlichen Mittelmeeranrainerstaaten an die EU – zum Beispiel die Möglichkeit der zeitlich begrenzten Mehrfacheinreise nach Europa zwecks Arbeit – stoßen dort jedoch weiterhin auf taube Ohren.
Dies erschwert auch eine vernünftige Debatte über Migration in den jeweiligen Ländern. In vielen von diesen ist Emigration ein prägendes Element der Gesellschaft. Aus Ägypten, Marokko, der Türkei und Palästina leben jeweils über 2,5 Millionen Bürger im Ausland, aus Algerien über eine Million, aus Tunesien und Libanon über eine halbe Million. Aus manchen Ländern nimmt die Auswanderung weiter zu. Marokko zählte 1993 1,549 Millionen Staatsbürger im Ausland – und 2004 schon 3,084 Millionen. Fast der gesamte Zuwachs ist in EU-Ländern gelandet, vor allem in Frankreich und Spanien. Doch nur in Algerien, kritisiert der Bericht, sei geregelt, wie die Emigranten am politischen Leben ihrer Heimat teilnehmen können.
Darüber hinaus ist die Mittelmeer-/Nahost-/Nordafrika-Region – die in der Studie von den Maghreb-Staaten über die Türkei bis nach Syrien und Jordanien reicht, Irak aber ausklammert – selbst Einwanderungsgebiet geworden, betont die Studie. Viele davon seien Durchreisende auf dem Weg nach Europa, die sich angesichts der EU-Abschottungspolitik blockiert wiederfänden. Das bedeute „beispiellose Belastungen für die Arbeitsmärkte“ der Transitländer.
Weiter weg von der EU, im Afrika südlich der Sahara vor allem, ist Migration schließlich inzwischen genauso wichtig. Die Studie nennt vier Problemfelder beim Umgang der Maghrebstaaten mit ihren südlichen Nachbarn: die „schwierige Umstellung vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland“, die „geringe Kapazität zur Aufnahme fremder Arbeitskräfte“, soziale Spannungen und die Ansicht, bessere Politik müsse mit Entwicklungshilfe belohnt werden.
Für eine vernünftige EU-Migrationspolitik müsse der Dialog mit den Mittelmeerländern auf die afrikanischen und asiatischen Herkunftsländer der Wanderer ausgedehnt werden. „Diese geografische Ausdehnung“, so der Bericht trocken, „reflektiert die Wirklichkeit.“