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Archiv-Artikel

„Nicht ganz reif “

REAKTIONEN Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, kritisiert Entscheidung

Berlin dpa/ afp/ epd | In- und außerhalb der Schweiz äußerten sich viele Beobachter, Intellektuelle und Politiker bestürzt über den Ausgang des Volksentscheids in der Schweiz. So bedauerte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, das Ergebnis mit den Worten: „Es zeigt sich, dass die europäischen Gesellschaften noch nicht ganz reif sind für die Zuwanderung und für die Einwanderung.“

Trotz Fällen wie in Köln, wo es massive Proteste gegen den Bau einer großen Moschee gibt, sieht Kolat aber Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz. In Deutschland habe sich in den vergangenen Jahren „eine neue Kultur entwickelt“, die sich verstärkt um einvernehmliche Lösungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen bemühe.

Offen ließ Kolat, ob das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung auf eine generelle Feindlichkeit gegenüber Muslimen zurückzuführen sei. Es müsse jetzt genau geprüft werden, „ob die Menschen dort wirklich gegen den Minarettbau oder gegen den Islam abgestimmt haben“. Gleichzeitig äußerte er grundsätzliche Zweifel, ob derartige Abstimmungen über religiöse Fragen überhaupt organisiert werden sollten. Über Religionsfreiheit könne ebenso wenig abgestimmt werden wie über Meinungsfreiheit. „Grundrechte darf man nicht zur Volksabstimmung vorlegen“, sagte Kolat. Als Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde vertritt er eigenen Angaben zufolge rund 2,3 Millionen Menschen.

Der Schweizer Soziologe und Autor Jean Ziegler warnte vor einer „Pogromstimmung“ in der Schweiz gegen Muslime. Die Volksabstimmung über ein Bauverbot für Minarette sei in Wahrheit ein Referendum über den Islam, sagte Ziegler in Genf. „Viele Muslime fürchten sich vor Anschlägen, vor Gewalt, vor Stigmatisierung“, sagte der ehemalige sozialdemokratische Abgeordnete.

Der in Genf lebende Islamwissenschaftler Tariq Ramadan bezeichnete das Votum als „katastrophal“. Die Schweizer Grünen kündigten an, eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg zu prüfen. Sie sehen durch das Votum die in der europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Religionsfreiheit verletzt.