Biller Papers (2) Sex als Kampf um die eigene Empfindung: eine Kritik "in progress" zu Maxim Billers neuem Roman "Biografie": Sicherheitshalber mal lachen
Der Satz „Jetzt, dachte ich, sollte ich sicherheitshalber lachen“ fällt, als Solomon, genannt „Soli“ Karubiner, die Zentralfigur, den Inhalt eines Familienromans erzählt bekommt, der vom Widerstand einer nichtjüdischen deutschen Familie gegen die Nazis handelt. Dieser Soli sitzt dem Verfasser des noch unveröffentlichten Romans, Claus, in einem Restaurant in Berlin gegenüber. Claus will ihn erpressen, das Manuskript an einen Verlag zu empfehlen; und er kann ihn erpressen, weil Soli in einer öffentlichen Sauna onaniert hat und eine Frau sich dadurch belästigt fühlte. Wir sind da auf Seite 128 von Maxim Billers 900-seitigem Roman „Biografie“.
Die Frage, ob man „sicherheitshalber“ lacht, hat man sich beim Lesen bis dahin schon einige Mal gestellt. Es gibt viele komische Details. So trägt der besagte Familienroman den Titel „Die Litze der Hammerbachs“, und sofort fragt sich Soli Karubiner (wie der Leser), was, verdammt noch mal, eine Litze ist.
Außerdem schichtet Max Biller oft die Ebenen waghalsig übereinander. Mitten in einem Gespräch, das die Frage berührt, ob die Juden den Opferstatus monopolisieren – „Sie und die anderen Judentypen. Ihr denkt, die Erinnerung gehorcht nur euch“ –, fällt diesem Claus zum Beispiel auf, in einem Promirestaurant zu sitzen: „Das war Tom Cruise. Ich glaub’s nicht, das war Tom Cruise!“ Das ist nicht die erste Stelle, an der man sich ernsthaft fragt, ob man das Buch nicht einfach wie ein Pulp-Fiction-Ding auf seine absurden Stellen schnell weglesen sollte.
Es gibt wirklich hanebüchen ausgedachte Plot Points. Die Dreharbeiten zu einem very independent Film über die Ermordung der Goebbels-Kinder spielt eine Rolle, eine Geschichte um betrogene Betrüger und eine geschmuggelte Buddha-Statue und immer wieder Sex, der in vielen Spielarten eher angesprochen als tatsächlich geschildert wird, und zwar so obsessiv, dass man beim Lesen gleich denkt: Aha, hier soll ich hinter der heftigen Oberfläche die Verzweiflung und Leere dahinter spüren.
Sex, das ist in diesem Roman bislang hauptsächlich Kampf, und zwar gar nicht mit und gegen einen Partner, sondern um und mit der eigenen Empfindung. Dass sie Narzissten sind, wissen sowieso alle Figuren in diesem Buch selbst, und in puncto Beziehungsunfähigkeit wollen sie sich von niemandem etwas vormachen lassen.
Im zwölften Kapitel gibt es auch dazu einen passenden Satz. Da ist von der „menschlichen Seele“ die Rede, „die lieber schmerzt und Schmerzen bereitet, als sich zu langweilen“. Das ist zwar auf den israelisch-palästinensischen Konflikt bezogen, kann man aber ohne große Probleme auf alle Beziehungen in dem Buch anwenden.
Gleichzeitig kann ich dieses zwölfte Kapitel aber für Leute, die sich fragen, ob dieses Buch etwas für sie ist, als Anlesetipp empfehlen (ab Seite 160). In ihm erscheinen die Ebenen nicht nur jongleurhaft übereinandergeschichtet, sondern tatsächlich aufeinander bezogen. Soli betritt die Prager Wohnung seiner Kindheit. Seine Halbschwester kocht für ihn. Sie unterhalten sich darüber, wie es für sie war, zu erfahren, dass ihr sozialer Vater nicht ihr richtiger Vater war. Soli sieht sich selbst in Werbeplakaten für seine Bücher („Ihr wollt nur unsere goldenen Eier“, „Post aus dem Holocaust“) gespiegelt, die seine Mutter im Flur aufgehängt hat. Erinnerungen an einen Ausflug nach Jerusalem mit seinem Jugendfreund Noah spielen hinein, in dem sie an der Klagemauer standen und kein großes Gefühl in sich entdecken konnten.
Zugleich nimmt hier die Erzählweise etwas Achtsames an. An vielen Stellen bis dahin bleibt die Tragikomik Behauptung. Aber in diesem zwölften Kapitel lässt sich tatsächlich spüren, was für eine Überforderung es ist, als Nachgeborener dieses schreckliche 20. Jahrhundert auf dem Rücken zu haben. Mal weitersehen. Dirk Knipphals
Teil 1 vergangenen Samstag. Fortsetzung nächsten Samstag
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen