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Archiv-Artikel

Wut auf Clement & Co.

Reaktionen auf Berliner Hartz-IV-Missbrauchsvorwürfe – Senatorin: Clement fehlt „erforderliche Seriosität“

Von sgi

Bremen taz ■ Wütend wäre noch zu wenig, um den gestrigen Zustand des Stefan Wichmann zu beschreiben. Stefan Wichmann wäre beinahe geplatzt. Der Vorsitzende der Solidarischen Hilfe in Bremen findet es unerträglich, wie Empfänger von Arbeitslosengeld II von höchster Stelle diffamiert werden. Anfang der Woche war ein Report über den angeblichen Hartz-IV-Missbrauch aus dem Hause von Noch-Bundeswirtschaftsminister Clement bekannt geworden, in dem Sozialbetrüger als „Parasiten“ bezeichnet werden. Dann hatte der Arbeitgebervertreter in der Bundesagentur für Arbeit, Peter Clever, mit einer geschätzten Missbrauchsquote von 10 Prozent nachgelegt und Clements Nachfolger im Amt, Franz Müntefering, hatte dem Missbrauch den Kampf angesagt.

Überall schlägt Clement und Co. jetzt herbe Kritik entgegen, nicht nur auf Bundesebene. „Das erfüllt in meinen Augen den Tatbestand der Volksverhetzung“, sagt der Bremer Wichmann. Ein Anwalt sei beauftragt zu prüfen, ob die Solidarische Hilfe Anzeige gegen Clement und Co. erstatten könne. „Die Menschen sind verzweifelt und ohnmächtig“, erzählt Wichmann von den Erfahrungen, die die MitarbeiterInnen der Solidarischen Hilfe tagtäglich in ihren Beratungen machen, „sowas geht an die Substanz.“

Gestern hat Stefan Wichmann die SPD und ihre Sozialsenatorin Karin Röpke aufgefordert, sich zu den Statements aus Berlin zu verhalten. War es nun Wichmanns Appell oder nicht – Karin Röpke verhielt sich: „Die Missbrauchsvorwürfe sind in der vorgebrachten Pauschalität überzogen.“ Clement lasse angesichts des gerade neun Monate alten Umbaus der Sozialsysteme „die erforderliche Seriosität vermissen“ und laufe Gefahr, „Vorurteile gegen Arbeitslose zu schüren.“ Die Vorwürfe seien überdies nicht neu, verweist die Senatorin auf frühere Debatten zum selben Thema und auf deren Ergebnis: „Überprüfungen in Bremen ergaben stets, dass die Missbrauchsquote sehr gering war.“

Helga Ziegert, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD, nennt ein paar schlichte Gründe für die gestiegene Zahl von Alg-II-Empfängern, die nun die Kosten in Höhe treibt: „Die Hemmschwelle, Alg II zu beantragen, ist nun mal niedriger, als zum Sozialamt zu gehen.“ Zudem bekämen mehr Personen Alg II, die früher ohne Anspruch gewesen waren. Und schließlich hat Helga Ziegert eine höchst menschliche Erklärung für die Berliner Attacken gegen die Alg-II-Empfänger. Bei Clement, sagt sie, „ist es vielleicht auch Erbitterung, dass seine Reform doch nicht so gelaufen ist wie er sich das vorgestellt hat.“ sgi