: Sackkratzen am Ballermann
THEATER IM THEATER Die Deutsche Oper hat Katharina Thalbach verpflichtet, Rossinis „Barbier von Sevilla“ neu zu inszenieren. Bei der Premiere war dann aber vor lauter Klamauk davon nichts zu sehen und zu hören
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
In Sevilla gibt es einen Strand, das ist die gute Nachricht dieses Opernabends. Sevilla liegt zwar nicht am Meer, aber die Touristen laufen trotzdem in Bikinis und Badehosen am Bühnenrand über dem Orchester herum, und so ganz nebenbei steht auch noch Kultur auf dem Programm, das sie gebucht haben. All inclusive vermutlich, dazu gehört ein echter Esel, der mit Südfrüchten beladen zum Markt trottet, Nonnen, Kellner – und ein riesengroßer Bauwagen, der sich aufklappen lässt und dann ein richtig putziges Theater ist für echte Gaukler und Komödianten, die den Badegästen landestypischen Frohsinn vorführen.
Warum nicht? Es gibt viele Zugänge zu Gioacchino Rossinis „Barbier von Sevilla“, der seine Figuren ja tatsächlich in einen ausweglosen Käfig einsperrt, in dem sie zwischen Schreckstarre und Panik herumtorkeln bis sie sich schließlich in einem Happy End wiederfinden, das sie für ihr Glück halten sollen, obwohl es so gar nicht nach Glück klingt, weil Rossinis Beat nie Ruhe gibt und auch noch die Erfüllung der Liebessehnsucht mit ein paar besonders grotesken Tonleitern in das glatte Gegenteil verkehrt. Nein, ein Ferienspaß ist Rossini nie, seine Partituren sind bösartige Grammatiken menschlicher Laster, aber vorstellbar wäre schon, die tief melancholische Verzweiflung dieses unerbittlichen musikalischen Rasters von Beschleunigungen und Stillständen in den konträren Kontext eines Urlaubsortes zu stellen – und die noch immer dem Barock zugewandte Künstlichkeit des konservativen Stils von Rossini wäre in einem altmodischen Reisezirkus vielleicht ganz gut aufgehoben.
Aber dafür hat Katharina Thalbach kein Ohr. Ihr Talent ist der Klamauk, bei ihr muss es krachen auf der Bühne, deswegen darf niemand nur singen und sich dabei tragen lassen von Rossinis Rhythmen, die den dramaturgisch zwingenden Höhepunkt jeder Arie und jedes Ensembles von selbst herbeiführen. Stattdessen muss gezappelt und herumgefuchtelt werden, mal hängt einer am Seil, der andere kratzt sich am Sack, es knallt und raucht, obwohl eigentlich nur ein Nachttopf in die Brüche geht, und wenn am Schluss der Graf seine Rosina kriegt, muss er das als Schlagersänger in ein Mikrofon singen, weil wir sonst nicht verstehen, dass das jetzt eine ganz große Arie ist.
Eine große Arie ist es, aber von Rossini, daher mit doppeltem Boden, nicht von Katharina Thalbach, die es schon wieder nicht ertragen kann, dass einer nur singt, und zwar sehr schön mit der schmalen, aber warmen, ausgeglichenen Stimme des jungen Tenors Lawrence Brownlee. Auch Markus Brück versucht dem Barbier seine Stimme zu leihen, aber schon seine weltberühmte Auftrittsarie misslingt ihm vollkommen. Kein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs ist zu hören, der versucht, sein Geschäft mit den Reichen und Schönen zu erklären, nur ein fader Reisebegleiter, der kaum den Takt halten kann, und sich natürlich in den Schritt fassen muss, wenn es um die Damen geht. So schlecht ist Brück nun wirklich nicht. Nur Jana Kurucova ist den Zumutungen der Regie halbwegs entkommen und singt ihre Rolle der Rosina mit viel Sinn für die extremen Überzeichnungen, mit denen Rossini das Gefühl der Liebe karikiert.
Aber auch sie kann die Sache nicht retten, kein Sänger kann das und auch der Chor nicht. Es liegt nicht nur an Katharina Thalbachs Taubheit. Das Orchester schafft es, unter dem Dirigenten Enrique Mazzola, der dieses Werk auch mal an der Mailänder Scala dirigiert haben soll, schon den ersten Akkord der Ouvertüre zu verwackeln. Irgendwie kommen die Damen und Herren dann schon wieder zusammen, aber sie spielen erbärmlich vor sich hin, ohne Ziel und ohne Gefühl für Spannungen und Tempi, als seien sie wirklich nur für die Ballermänner da oben am Strand von Sevilla zusammengetrommelt worden. Mag sein, dass die Probenzeit zu kurz war und die Zusammenarbeit mit Katharina Thalbach schwierig, die – Frohnatur, die sie nun mal ist – vorab erklärt hatte, dass sie weder Rossini kennt noch Partituren lesen kann. Warum sich ein Orchester, das sich zu den Besten mindestens der Stadt zählt, davon beeindrucken lässt, ist schwer zu erklären. Vielleicht ist es wie beim Fußballverein Hertha und seinen Profis. Eigentlich können sie gut spielen – sie tun es nur nicht.
■ Nächste Aufführungen: 2., 6., 10. 12. 2009