: Die Gewissheit bröckelt
VON UWE RADA
Gewalt und Kriminalität waren lange Zeit Themen der anderen. Entsprechend einfach war der Umgang damit. Die Ursachen vermutete man gerne in Armut oder mangelnder Perspektive der Täter; die Opfer und ihre Erfahrungen waren zweitrangig. So sprachen die, die es nicht betraf – bis sie selbst zum Opfer wurden.
Gegen die Anonymität
Nach den jüngsten Gewaltvorfällen beginnt diese Selbstgewissheit zu bröckeln. Opfer kann jeder werden. Auch in der eigenen Wohnung. Immerhin findet die zunehmende Zahl von Wohnungseinbrüchen nicht nur in Zehlendorf statt, sondern in Neukölln oder Wedding. Robin Hood ist tot, es lebe die Realität.
Auch die Polizei hielt lange an alten Gewissheiten fest. Die beste Prävention ist Sicherheitstechnik, lautete eine. Nun aber hängen immer öfter Plakate in den Hausfluren. Wachsam solle man sein, rät die Polizei. Ein Aufruf zum Spitzeln?
Eher eine Anleitung zum Kennenlernen. Ohne Anonymität hätten es die Wohnungsdiebe schwerer. Dem Nachbarn ein Schwätzchen abzutrotzen, schafft dagegen Sicherheit. Und wenn im nächsten Frühjahr ein Hausfest steigt, umso besser. Nicht wegschauen – das gilt nicht nur am Alex oder am Bahnsteig, sondern auch im Hausflur.
Das ersetzt keine Ursachenforschung. Die Spaltung der Gesellschaft hinterlässt Spuren. Nicht in Zehlendorf wird sich entscheiden, wie tolerant die Gesellschaft bleibt, sondern im Wedding. Ein ehrlicher Umgang mit Kriminalität gehört dazu.