: DIE ACHSE DES HOUSE VON SOPHIE JUNGGewitzt
Christopher Rau, „Two“ (Smallville/Word & Sound)
Als liege man am Pool eines Case-Study Hauses in den Hügeln von Beverly Hills, hinter einem die Glasfassade einer modernistischen Villa, vor einem der Blick auf den Grid von Los Angeles und dazu die einlullenden Klänge jazziger Streicher und einer leiernden Hawai-Gitarre.
Christopher Rau leitet sonnig verzuckert in sein neues Album „Two“ ein. Doch er ist ein musikalischer Grenzgänger. Seine sleeken Soundsequenzen werden gebrochen, verzerrt, zurückgespult, und die eingestimmte Cocktailharmonie zerfließt schon mit den ersten Takten in wohl dosierte Ironie. Der 28-jährige Hamburger hat sich in den letzten Jahren als umtriebiger House-Produzent hervorgetan, tourt als DJ durch die Clubs in Europa und den USA und veröffentlicht gleichzeitig bezwingende Tracks auf Pampa Records, Laid oder Ethereal Sound. „Two“ ist sein zweites Album bei seinem Stammlabel Smallville in Hamburg, eine Instanz für Deephouse. Ein zurückgenommener, trotzdem treibender Bass, klare Claps und Hi-Hats, das ist das minimale Grundgerüst, auf dem Rau seine Tracks aufbaut. Darüber spielt er seinen musikalischen Freigeist aus. Liebliche Patterns schwirren als glockenspielartiges Klimpern oder in watteweichen Orgelsounds über dem klaren Rhythmus. Und noch bevor Rau mit den Tracks „High“ und „Weird Alps“ zeigt, dass sein Sound auch kühl und monoton werden kann, bricht er ihn mit langsam ansteigendem Pitch ironisch auf.
Erotisch
Elbee Bad, „The Prince of Dance Music – the True Story of House Music“ (Rush Hour Records)
Love and Laughter“, ein Rau’sches Motto, nach dem sich Radio-DJ und Produzent Elbee Bad schon seit dreißig Jahren durch die Geschichte der House-Music bewegt. Lemont Booker, so sein bürgerlicher Name, nennt sich wenig bescheiden „the Prince of Dance Music“. Trotz ausgeprägtem Selbstbewusstsein gehört Elbee Bad eher zu den unbesungenen Helden von New York. Er veröffentlichte in den Achtzigern und Neunzigern eine Handvoll Maxisingles bei Nu Groove, City Limits und auf seinem eigenen Label LaRhone. Die Herzstücke des mittlerweile in Berlin Residierenden wurden nun vom Amsterdamer Label Rush Hour erstmals auf Albumlänge zusammengefasst.
„The True Story of House Music“ heißt die Compilation, benannt nach seinem großen Track von 1989, der heute mit seinen antiquierten Samples und Soundeffekten eher durch Retro-Charme gewinnt.
Unverzichtbar ist hingegen der Ambienttrack „The New Age of Faith“, der von den britischen Sabres Of Paradise dreist kopiert wurde. Elbee Bad beschränkt sich auf elementare musikalische Formeln: schnelle Beats, ein dumpfer, funkensprühender Bass und kühle, rhythmisch eingesetzte Keyboards. Vereinzelt kehrt er seine HipHop-Wurzeln hervor und haucht ein paar Textpassagen über die puristischen Strukturen. HipHouse nannte man das einst. Elbee Bads New Yorker House-Version ist nackt und erotisch. „The music is kickin’“, prononciert eine Frauenstimme im gleichnamigen Track kurz und knapp. Elbee Bads Soundsignatur entwickelt ihre Dramaturgie aus den Kontrasten.
Mitreißend
Erdbeerschnit- zel, „Tender Leaf“, (Mirau/Word & Sound)
Die Minimalkonstruktionen des alten Meisters Elbee Bad und die eklektische Mischkunst des jungen Bonner House-Produzenten Erdbeerschnitzel – weiter lässt sich die Stilspange von House momentan wohl nicht fassen. Einer, der süß und salzig, Fruchtsalat und Paniermehl, bereits in seinem Künstlernamen zu Pop vermengt, lässt Lamont Booker oder Christopher Rau wie musikalische Puristen dastehen.
Im warmen und flinken Houseentwurf von Erdbeerschnitzel fließt alles ineinander: Dubstep, R ’n’ B , Funk, Soul und Disco. Wenn er einen Slapbass, hallende Claps, Breakbeats und Soulgesang durch seine Tracks treibt, dann fügt er sie in einem Strom zusammen – und der ist sehr funky. Tim Keiling heißt Erdbeerschnitzel mit bürgerlichem Namen. Nachdem er Singles unter anderem bei 3Rd Strike oder 4Lux veröffentlichte, bringt er nun bei dem feinen Hamburger Label Mirau sein Debütalbum „Tender Leafs“ heraus.
Auf zwölf Tracks ordnet er melodiösen Gesang, schnelle Clicks und Jazz-Akkorde immer wieder neu – ein geschwindes Wabern, mal euphorisch, mal romantisch, mal sphärisch. In „The Mattress Excursions“ legt Gastsänger The Drifter seine Soulstimme über ein langsam aufblühendes Rhythmusarrangement, der Titeltrack hingegen formuliert mit seinem Hochgeschwindigkeitsbeat so etwas wie Turbo-House. „Tender Leaf“ ist ein musikalischer Propeller. Seine wilden, sich drehenden Flügel reißen von jeder Form elektronischer Popmusik ein Stück mit.