: Permanent Differenz behaupten
THEATER ÜBERSETZEN Beim Festival Impulse unterwandern die deutsche Regisseurin Monika Gintersdorfer und der Performer Franck Edmond Yao von der Elfenbeinküste Shakespeare
VON ANNE PETER
„Othello? Wer ist das?“, fragt der Performer Franck Edmond Yao. Yao lebt in Paris, ist aber an der Elfenbeinküste geboren. Den wohl bekanntesten Schwarzen unseres Dramenkanons kennt dort fast niemand. Yaos Frage ist Titel für Monika Gintersdorfers interkulturelle Performance „Othello, c’est qui“.
Shakespeare ist darin für den französisch sprechenden Yao und die ihn übersetzende deutsche Schauspielerin Cornelia Dörr bloß Sprungbrett für eine Befragung des Stücks auf persönliche Anknüpfungspunkte hin. Ein 400 Jahre altes Drama immer wieder zu inszenieren, das nennt Yao die „Roboter-Kassetten-Methode“. Gintersdorfers Annäherung an einen Klassiker könnte man hingegen als positiven Fall von Kolonisierung bezeichnen: neugierige Vereinnahmung des kanonischen Territoriums mit eigener Biografie und Erfahrung.
Die Darsteller improvisieren, gemeinsam betreibt man Relevanz-Forschung. In lose assoziativer Verbindung zu „Othello“ entwerfen Yao und Dörr unterschiedliche Thesen über die „schwarzen“ und „weißen“ Ausdrucksweisen von Liebe, Eifersucht und Ehre, Parodien der Othello-Varianten von John Neumeier und Stefan Pucher inklusive.
Monika Gintersdorfer, geboren 1967 in Peru, ist mit ihrem charmant-lockeren, halbdokumentarischen Erzähltheater, in dem verschiedene kulturelle Kontexte miteinander konfrontiert werden, eine der derzeit gefragtesten freien Theatermacherinnen. Zunächst schlug sie mit Regiestudium, Assistenzen und Inszenierungen unter anderem in München und Hamburg die typische Stadttheaterlaufbahn ein. 2004 gründete sie die Performancegruppe Rekolonisation mit, die von der Alster aus spontane „Eroberungsaktionen“ in die Stadt unternahm. Die Künstler der Showbizz-Szene Westafrikas lernte sie kennen, als sie eine Show von Solo Beton, Star der ivorischen Tanzszene, bei einem Auftritt in Hamburg filmte.
Die meisten Arbeiten der letzten Jahre, darunter freie Produktionen ebenso wie Inszenierungen am Berliner Prater oder am Stadttheater Aachen, die sich oft mit Geschichte und Politik der Elfenbeinküste befassten, entwickelte sie gemeinsam mit Yao und dem bildenden Künstler Knut Klaßen. Größere Beachtung fand jedoch erst ihre „Othello“-Performance im Februar 2008 auf Kampnagel – was einiges über die Klassiker-Fixierung des Theaterbetriebs erzählt. Die wusste Gintersdorfer strategisch zu unterwandern: „Jetzt sind wir durch ‚Othello‘ bekannt genug, um wieder ein Stück über den ivorischen Bürgerkrieg machen zu können“, sagt sie.
„Othello, c’est qui“ wurde von zahlreichen Bühnen und Festivals eingeladen. Jetzt wird es, neben der Produktion „Betrügen“, auf dem renommierten Off-Festival Impulse in vier Städten NRWs gezeigt.
Ihre zweite Shakespeare-Aneignung zeigten Gintersdorfer/Klaßen jüngst am Deutschen Theater Berlin: „7 % Hamlet“ kreist um Geister, Magie und Mystik, gerade um das, was uns bei Shakespeare heute eher fernliegt – uns, nicht Yao. Er erzählt von den Fetischeuren und Hexern seines Heimatdorfes, während DT-Spieler Bernd Moss gesteht, nur „so ungefähr“ zu glauben, also vornehmlich in brenzligen Situationen. Hamlet ist für den Ivorer interessanterweise gerade kein Zauderer, sondern der erfolgreiche Superschlaue, der alle planvoll hinters Licht führt.
Immer wieder schafft es Gintersdorfer, derart neue Perspektiven auf Bekanntes zu eröffnen oder Stereotype auf originelle Weise umzukehren. Das Stück „Betrügen“ handelt von der „Jet-Set“-Bewegung, eine Art Hochstapler-Starkult ivorischer Migranten in Paris, die ihre prekäre Existenz mit puren „Hochstatusbehauptungen“ – Marken-Klamotten, Champusorgien, Muskelgepose – zum Glamourleben aufpushen.
Auch wenn nicht immer so energisch getanzt wird wie bei den Jet-Sets, sind Gintersdorfers Inszenierungen stets mit einem Bewegungsteppich unterlegt. Zwischen den verschiedenen Spielern ergeben sich dabei Spiegelungen, die nicht auf Angleichung zielen, sondern im Gegenteil auf die Unterschiede in Sprechweise und Körperlichkeit verweisen – permanente Differenzbehauptungen.
Der Regisseurin geht es ganz wesentlich um Empathie, darum, „den anderen erst mal verstehen zu wollen, bevor man opponiert“. Die Performer seien keineswegs ihr „Sprachrohr“, „sie haften selbst für ihre Texte.“ Die buchstäblich schwarz-weißen Gegensätze – „ihr Weißen“ und „wir Schwarzen“ – bleiben, auch in ihren Klischee-Anflügen und ihrer oft provokanten Übertriebenheit, nebeneinander bestehen. Ohne ausdiskutiert, relativiert oder gar aufgelöst zu werden. Man hört sich zu, staunt, versucht, den anderen nachzuahmen. Nicht mehr und nicht weniger als eine vorläufige Bestandsaufnahme der Unterschiede.
Jeder Abend hat seine produktiv verunsichernden Kippmomente, in denen das Biografische in die Rollenfiktion übergeht: Da traktiert etwa Yao-Othello Dörr-Desdemona mit gewalttätig anmutenden Exorzismusriten, um ihr die bösen Fremdgehgeister auszutreiben.
Gintersdorfers Ansatz hat allerdings auch Grenzen: Es sind Einübungen in Unvoreingenommenheit, doch das kann im interkulturellen Diskurs nur der Anfang sein. Dann gälte es, die vorgeführten Gegensätze miteinander ins Spiel und zum Tanzen zu bringen.
■ „Betrügen“ und „Othello, c’est qui?“. 2. bis 6. Dezember auf dem Festival Impulse, Orte und Zeiten unter www.festivalimpulse.de