: Im Anwohnerpark
MANJA PRÄKELS
Teil 27: Im Namen des Volkes
Guten Tag, ich würde gern mit Herrn Hottenrott sprechen?“
„Wer ist denn da?“
„Brettermeier. Ich bin für ihn gefahren.“
„Moment bitte.“
Die prunkvolle Villa lag oberhalb des Dorfes, auf einem kleinen Hügel, da, wo einst die Mühle gestanden hatte. Der Chauffeur blinzelte durch die geschwungenen Bögen, die das eiserne Tor zierten. Trotz der winterlichen Temperaturen blühten die Schneeglöckchen links und rechts der Auffahrt. Es war ein Leichtes gewesen, die Adresse herauszubekommen. Ein Mithäftling hatte jemanden gekannt, der jemanden kannte. Aufgrund seines Alters und der spektakulären Verletzung waren sie ziemlich gnädig mit ihm umgegangen. Vielleicht hatte sogar Mitleid eine Rolle gespielt. Jedenfalls war seine Handamputation im tristen Anstaltsalltag einer Sensation gleichgekommen. Nun war er bestens vorbereitet und mit dem nötigen Material versorgt. Der Chauffeur fühlte mit der verbliebenen Hand nach dem kalten Metall in seiner Manteltasche und blickte mit wachsender Ungeduld zu dem Palast hinauf, den sein alter Chef da erworben hatte: Fußbodenheizung, Edelholztüren, Wellnessbereich, überdachter Pool ... Ein leises Klicken entwich der Gegensprechanlage. Dann wieder Stille.
„Ich fahr nicht mehr in den Osten!“
„Aber, Entschuldigung, wir SIND im Osten. Punkt.“
„Blödsinn. Das hier ist Berlin.“
„Ja, aber OST-Berlin.“
Seit dem Wochenende sah sich Anne unentwegt mit Streitgesprächen wie diesem konfrontiert. Die Kundschaft ihres Bioladens in der kleinen Straße nordöstlich des Alexanderplatzes war offenkundig aufgebracht. Und überrascht.
„Im Westen haben die doch genauso gewonnen. Und schau dir im Vergleich mal das Ergebnis der Grünen in Rheinland-Pfalz an.“
„Ich denke, langfristig könnte Auswandern helfen.“
„Also ich kann die Ängste der Leute verstehen.“
Annes Kopf brummte. Das lag auch am Alkohol. Der Vater ihrer Kinder war plötzlich aufgetaucht, „um die Sache zu klären“. Tatsächlich hatten sie sich in allen wesentlichen Punkten geeinigt und endlich die Scheidungspapiere unterschrieben. Der anschließende Versöhnungssex war nicht vorhersehbar gewesen und hatte beider Gemüter derart irritiert, dass im weiteren Verlauf der Nacht ein gehöriger Teil von Annes Weinvorräten dran glauben musste. Ob er immer noch in ihrem Bett lag?
Im ganzen Viertel zwischen Friedhof, Kaufhalle, blaulicht und Bioladen herrschte Hochbetrieb. Als versuchten seine Bewohner, den Frühling mit eigener Tat herbeizuführen, rannten sie durch die Gegend und schleppten Utensilien zur Balkonbegrünung von A nach B. Andere putzten bei eisigem Wind ihre weit aufgerissenen Fenster. Vor Hildegards blaulicht forderten die ersten Gäste ihr Sitzrecht ein:
„Zwei Bier, bitte. Wir bleiben aber draußen.“
Ungläubig bestaunte die Wirtin die ringsum tobende Geschäftigkeit. Ihr selbst war so gar nicht nach Blühen und Grünen zumute. Fritze war mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert worden. Das Arschloch Heiko war neulich Nacht mit zwei Stiernacken im Schlepptau wie ein SA-Rollkommando eingefallen, hatte sie und die anderen bedroht und als „linkes Pack“ beschimpft. Na, und dann lag ihr noch die Gegenüberstellung schwer im Magen. Hildegard hatte keinen der Typen identifizieren können. Starsky und Hutch, diese beiden oberschlauen Ermittlerbübchen, waren ihr daraufhin begegnet, als sei sie nun die Hauptverdächtige für die Explosion.
„Keiner dabei? Sind sie sich auch sicher?“
Ja, was denn sonst. Die Wirtin trug die frisch gezapften Biere zu ihren Gästen in die Kälte hinaus, winkte Anne kurz durch das Schaufenster zu und verschwand wieder im Gastraum. Wie es wohl Fritze in der Klinik erging? Wahrscheinlich war der olle Hornochse längst wieder getürmt. So wie beim letzten Mal. Und davor auch schon.
Der Chauffeur starrte ungläubig auf die leere Auffahrt. Die Klingel funktionierte nicht mehr. Oder jemand hatte sie abgestellt. Was sollte er jetzt tun? Es war doch einer im Haus gewesen. Eine Stimme hatte ihm geantwortet. Hottenrott persönlich? Nein. Für so was hatte der doch seine Leute: zur Tür gehen, ans Telefon, das Auto vorfahren ... Der Chauffeur konnte spüren, wie ihm die Nerven versagten. Schweiß schoss aus den Poren, lief Stirn und Hals entlang. Ihm wurde augenblicklich kalt. „Dann kette ich mich hier an!“ Er hörte sich selbst schreien. „Ich geh hier nicht weg. Niemals!“
Manja Präkels,Jahrgang 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band Der Singende Tresen. Soeben erschien beim Verbrecher Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.
Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com.
„Ich bin’s.“
„Du bist noch da?“
„Ja. Der Flug ist storniert. Und ich kann so nicht fortgeh’n.“
„Was meinst du damit?“
„Ich will dich.“
Die Schlange vor ihrer Theke reichte bis auf das Trottoir hinaus. Die Kunden starrten schon. Wortlos legte Anne auf und wandte sich wieder der Arbeit zu.
Henry Hottenrott saß in einem Ledersessel und schenkte sich nach. Dass Brettermeier ihn tatsächlich aufgespürt hatte, brachte den sonst über allen Zweifel erhabenen Geschäftsmann ins Grübeln. Nicht, dass er sich vor seinem alten Chauffeur fürchtete ... Sollte der doch weiter warten, brüllen und sich seinetwegen auch anketten. Das interessierte im Dorf kein Schwein. Aber zum Teufel: Wenn ihn selbst dieser Trottel fand, war er im Haus nicht mehr sicher. Hottenrott wippte mit der rechten Schuhspitze auf und ab. Er trank sein Glas in einem Zug leer, spürte dem Brennen nach, dem Geschmack von Torf, trat ans Fenster und blickte die frisch geharkte Auffahrt hinab.
„Im Namen des Volkes!“, schrie der Chauffeur, als er Hottenrotts Gestalt hinter dem Fenster erblickte. Der folgende dumpfe Knall brachte die Scheibe zum Vibrieren. Etwas spritzte dagegen. „Jesusmariaundjoseflassdasnichtwahrsein.“ Hottenrott trat einen Schritt zurück und staunte. Er hatte die Farbe Rot nie gemocht. Nun war sie überall. Rund um das Tor, auf dem Rasen und sogar auf der Treppe. „Dieseskleinearschlochderwichserderdämlichedilettant.“
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