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AM LIEBSTEN WÜRDE ACHMAD DER GEMEINDE SAGEN, DASS ER ZURÜCKGEHT NACH SYRIEN, WENN DAS SO WEITERGEHTDie Hand, die dich füttert

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von REBECCA CLARE SANGER

Irgendwie kann man sich ja nie aussuchen, wo man sein will: An der Amalfiküste? – „Und wovon“, fragt Achmad, „wollen wir leben?“

Auf Lesbos? „Das geht ja wohl mal gar nicht im Moment!“

In Aleppo? – „Ausgeschlossen.“

Dass aber das Verlassen eines drögen Vorörtchens von Stege, selbst bloß ein Örtchen, zu klein für Vorörtchen eigentlich, ohne Laden, Kindergarten, Schule, Zigaretten, oder spielende Kinder ein Problem darstellen soll – eines Vorörtchens, in dem sich die Leute buchstäblich zum Sterben auf die Straße legen, und hätte Achmad die alte Dame dort nicht röchelnd liegen hören, wer weiß, wer sie sonst gefunden hätte, und wann?

Dass dieses Verlassen also ein Problem darstellen soll: Damit will ich mich nicht abfinden. Man hat das Haus von der Gemeinde zugewiesen bekommen und einen fremdenfeindlichen Piloten zum Vermieter. Weiter nichts.

Ich rufe also bei der Gemeinde an. „Die betreffende Familie hat kein Auto und wird sich so schnell auch keins leisten können“, sage ich. „Sie fährt täglich drei Stunden Bus, um die Kinder in die Schule und den Kindergarten zu bringen. Und die Miete liegt dreißig Prozent über’m Spiegel.“

Weil Rene sehr viele Familien mit sehr vielen Extrawürsten kennt, aber nur selten einen privaten Vermieter für sie findet, und weil Rene diesen Job schon 30 Jahre schiebt, und leichter ist er nicht geworden, kann er sogar ganz witzig antworten: Er könne ja verstehen, dass sie gern weniger Miete zahlen würden, sagt Rene – ihm sei das egal. Menschenwürdig sei die Unterkunft, und deswegen verbietet die Gemeinde den Umzug zwar nicht, wird ihn aber auch nicht fördern. Im Klartext: Umgerechnet 5.500 Euro Kaution, die Achmad Monat für Monat an die Gemeinde zurückstottert, wird die Gemeinde – , so der fremdenfeindliche Pilot sie denn je wieder rausrückt – nicht wieder für eine neue Unterkunft zur Verfügung stellen.

Vielleicht also doch den Piloten in der Sauna ansprechen? „Sören, wir wissen ja, wie sehr du dich durch deine ausländischen Nachbarn gestört fühlst. Dass sie deinen fehlenden Gartenzaun so lange ausgenutzt haben, bis du einen Zaun ziehen musstest. Dass sie sich über knirschende Fußbretter beklagen, als hätten sie in Syrien nicht größere Probleme. Wir wissen das alles. Denn du sprichst gerne und viel darüber. Aber, Sören: Jedes Problem hat eine Lösung – entlasse sie doch einfach aus deinem Wuchervertrag?

Ich finde mich mit Sören und Rene nicht ab. Ich finde mich nicht mit Aleppo ab, und auch nicht mit dem Vorörtchen. „Wir können da etwas machen, Achmad“, sage ich, „das ist alles gar nicht so schlimm.“ Ich male Zeiträume mit doppelten Monatsmieten auf ein Stück Papier, zeige auf Maklerannoncen in der Zeitung und stelle ihm einen schönen Monat beim Ziegenhüten in unserem Haus in Aussicht, falls er eben nicht so schnell was findet …

Achmad raucht nur. Er schüttelt die Hände, den Kopf, er will der Gemeinde sagen, dass er zurückgeht nach Syrien, wenn sie so weitermacht. Er ist Schuster, wozu soll er in eine Pizzeria fürs Praktikum, und der Pilot hat die Kinder vom Trampolin gescheucht, als habe er vergessen, dass er sie zuvor selbst dorthin eingeladen hat. Den Kindern hätten die Tränen in den Augen gestanden.

Achmad versteht das alles nicht so richtig: meine Zeichnung, den Piloten, das Örtchen, den Busfahrplan. Ich verstehe nur eins: Beiß’nicht die Hand, die dich füttert. Wenn du nichts verstehst, oder nur verstehst, dass der Staat alles darf und alles kann und alles muss. Und ich ziehe mich zurück, und spreche nicht wieder davon und tröste mich damit, schlimmere Orte in der Welt zu suchen, die man nicht verlassen kann.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle.

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