Nicht weinen, Chef!

Die neuen Heldinnen von Kult-Autorin Candace Bushnell („Sex and the City“) rennen den Männern nicht mehr hinterher, sondern booten sie aus – als gnadenlose Konkurrentinnen im Kampf um Führungsjobs in der Glamour-Welt New Yorks

von BARBARA DRIBBUSCH

Das ist er, der ultimative Kick: Nico O’Neilly, Chefredakteurin eines New Yorker Lifestyle-Magazins, hat es geschafft, einen missliebigen Herausgeber in ihrem Medienunternehmen vom Konzernchef feuern zu lassen, durch ihre Intrige. Sie „fühlte das süße, sahnige Gefühl von Macht“. Nicht mal Sex will sie an diesem triumphalen Abend mit ihrem Ehemann haben, denn „sie wollte niemanden anderes in sich spüren. Es war, als hätte sie alle leeren Ecken und Winkel in sich selbst gefüllt, endlich war sie sich selbst genug.“

Lust und Glück zu empfinden bei Machtspielen in der männlich dominierten Unternehmenswelt und nicht mehr auf der hektischen Suche nach dem Mann fürs Leben, den schrillsten Stilettos und der trendigsten Frisur zu sein – das ist das Thema des neuen Bestsellers „Lipstick Jungle“ von Candace Bushnell, bekannt als Kultautorin des Romans „Sex and the City“, der die Vorlage zur gleichnamigen TV-Serie lieferte.

Jenseits der Körperoberfläche

Ihre drei Heldinnen Nico, Wendy und Victory, alles Frauen in ihren 40ern, arbeiten als hochbezahlte Chefredakteurin, Präsidentin eines Filmstudios und Stardesignerin. Sie sind bereits erfolgreich, entscheiden über Projekte und Personal, wollen aber noch höher aufsteigen und haben mit Männern zu kämpfen, die an ihrem Stuhl sägen oder ihnen im Weg stehen. Wenig haben sie noch gemein mit Carrie und ihren Freundinnen aus „Sex and the City “, die sich stundenlang mit ihrer Optik beschäftigten und sich Sorgen darüber machten, wie sie „Mr. Right“, den Ehemann fürs Leben, gewinnen könnten.

Sie selbst habe, im Rückblick gesehen, zu viel Zeit in ihren 30ern verschwendet, sich darum zu kümmern, wie sie auf Männer wirke, erzählt Bushnell heute in Zeitungsinterviews. Die 46-Jährige ist inzwischen mit einem zehn Jahre jüngeren Solotänzer des New York City Ballet verheiratet.

Die drei miteinander befreundeten Heldinnen, sagt Bushnell, entwickeln ihre eigene „Straßenkarte“ , wie man sich als mächtige Frauen, als „Mrs. Bigs“, in der Modeszene und der Medienwelt behauptet. Wenig Raum verwendet Bushnell dabei auf die Beschreibung von Körperoberfläche und Outfits ihrer Heldinnen, auch wenn Armani-Hosenanzüge, Baume-&-Mercier-Diamantuhren und rotgoldene Nerztops nicht fehlen dürfen. Ein absolutes No-No ist zudem das Einsetzen von eindeutig sexuellen Signalen, um berufliche Vorteile zu erlangen. So was machen nur Loserinnen, stellt Bushnell klar.

Die Entdeckung der Macht-Lust

Stattdessen geht es in dem Buch um die Freilegung einer Lust. So wie Teenager ihre Lust am Sex entdecken, so spüren die Frauen den Spaß am Wettkampf, am Geldverdienen, am Ausbooten von Konkurrenten – auch durch moralische Grenzüberschreitungen in Richtung fieser Intrigen. Als Nicos direkter Vorgesetzter gefeuert wird, damit sie seinen Job übernehmen kann, beginnt er zu weinen. Seine Tränen während des Entlassungsgesprächs hinterlassen eine weiße Spur auf seinem durch Selbstbräuner getönten Gesicht. „Manche Männer verstehen einfach nicht, wie man Kosmetik nutzt“, heißt es lapidar im Roman.

Dennoch sind die Heldinnen keine männerhassenden Alpha-Frauen – im Gegenteil. Bushnell macht in Interviews einen Punkt daraus, dass es ja auch eine Entlastung der Männer bedeutet, wenn Frauen von ihnen nicht mehr nur umworben, beschützt und aufgewertet werden möchten. Bushnells Heldinnen bauen ihr Ego lieber selbst auf und erweitern dabei ein wenig die Spielregeln, die in der männlich dominierten Unternehmenswelt bereits herrschen.

Die charmante Tour darf da nicht fehlen. „Der Trick bestand darin, Pierre glauben zu machen, dass sie begeistert sei von seinen Ideen, während sie gleichzeitig versuchen musste, ihn behutsam in die Richtung zu steuern, die sie sich vorstellte“, heißt es über Victorys Strategie bei der Begegnung mit einem französischen Modezar. Bushnells Heldinnen lügen nach Bedarf auch mal wie gedruckt, ist ja nur List und Strategie.

„Lipstick Jungle“ spielt zwar in der New Yorker Oberschicht, jenen Einkommensmilieus, wo die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kein Thema ist, schließlich gibt es genug Hausangestellte. Als Modell nützen die Romanfiguren trotzdem auch den Leserinnen, die morgens mit der U-Bahn in Großraumbüros fahren und nicht in Stretchlimousinen durch die Gegend kutschiert werden.

Denn das Buch ist vor allem eine Antisuggestion, gegen die tückischen Selbsteinflüsterungen vieler Frauen, mit denen sie sich selbst so oft in aussichtslose Kämpfe schicken. Statt nämlich um den Erhalt der sexuellen Attraktivität zu bangen und viel Zeit in Fitness-Studios und beim Shopping zu verschwenden, ist Karriere und Geldverdienen eindeutig das bessere Spaßkonzept für die mittleren Jahre. So die Botschaft des Romans.

Macht auch Frauen an

Nur Verliererinnen verbreiten dagegen noch den Glaubenssatz, dass Frauen an Führungspositionen und Geld ja gar nicht so interessiert seien, weil sie die Machtspielchen lieber den Männern überließen und sich stattdessen gerne „mehr um die Inhalte“ kümmerten. „Frauen erzählen sich immer gegenseitig, doch mit dem glücklich zu sein, was sie haben, dass es die kleinen Dinge seien, die zählten. (…) Aufregung, Druck, Erfolg sind aber Dinge, die eine Frau genauso anmachen“, so Nicos Gedanken, bevor sie sich daran macht, ihren Chef und ehemaligen Förderer zu stürzen.

Die weit verbreitete Drohung, dass mächtige Frauen doch privat garantiert einsam sind, wird von Bushnell gleichfalls ausgehebelt. Ihre Heldinnen geraten vielmehr in komplizierte Verstrickungen aus Berufs- und Privatleben. Nico, verheiratet und Mutter, gönnt sich eine S/M-getönte Affäre mit einem jungen Dressman für Calvin-Klein-Unterwäsche, dem sie am Ende einen großzügigen Scheck ausstellt, auch damit er über die Begegnung schweigt. Wendy, Mutter von drei Kindern, verliert hingegen ihren Ehemann, der das Dasein als Hausmann als zu demütigend empfand. Victory wird von einem Multimilliardär umworben, zahlt aber das gemeinsame Kaviar-Dinner im Luxusrestaurant für 1.000 Dollar aus eigener Tasche und nimmt ihm damit seine Selbstgerechtigkeit.

Die Fabel wird von Bushnell immer nur so weit gesponnen, dass die Glaubwürdigkeit gerade noch erhalten bleibt. Das funktioniert gut in den USA, wo es erheblich mehr Frauen in hochrangigen Führungspositionen gibt als hierzulande. Dies ist auch dem Faktum geschuldet, dass ein Universitätsstudium in den Staaten so teuer ist, dass keine Akademikerin diese Qualifikation aufgeben und auf eine Karriere verzichten würde, nur weil sie Kinder bekommt.

Was wäre wohl, wenn?

Hierzulande hingegen verzichten Frauen oftmals auf den Kampf in der Erwerbswelt und leben ihre Machtgelüste nur im Privatbereich, in Ehe und Familie aus – worunter Männer übrigens auch leiden können. Was also passiert, wenn Frauen zunehmend die Unternehmenswelt als neues lustvolles Schlachtfeld für ihre Libido entdecken? Das ist die spannende Frage.

Candace Bushnell: „Lipstick Jungle“. September 2005. Abacus, London (britische Ausgabe). Das Buch ist bislang nur auf Englisch erschienen.