: AMERICAN PIEVorwärts in die Vergangenheit
Es gab immer mal wieder Sportler, die nach einer Dopingsperre wieder ihr altes Niveau erreichen konnten. Athleten, die trotz einer abgesessenen Haftstrafe an vergangene Spitzenleistungen anknüpften, sind schon rarer gesät. Marion Jones versucht jetzt diese beiden Hürden auf einmal zu überspringen. Vor gut zwei Jahren hat sie Doping gestanden, vor 15 Monaten wurde sie aus dem Knast entlassen, nun will die ehemalige Olympiasiegerin zurück in den Sport – allerdings nicht als Leichtathletin. Die dreifache Mutter möchte eine Karriere als Basketballprofi starten.
Sie vermisse, sagt die mittlerweile 34-Jährige, vor allem den sportlichen Wettbewerb. Und sie habe, findet sie, „eine zweite Chance“ verdient. Für die trainiert sie seit Oktober dreimal die Woche in einer Halle in San Antonio unter der Anleitung von Coaches, die sonst in der WNBA, dem weiblichen Ableger der NBA, engagiert sind. Die bescheinigen der früheren Sprinterin eine hervorragende körperliche Verfassung, vor allem angesichts der Tatsache, dass Jones vor fünf Monaten zum dritten Mal Mutter geworden ist. „Die Frage, ob ich das physisch schaffen würde, stellte sich nie“, sagt Jones. Sie meint, vor allem das halbe Jahre Haft in einem texanischen Gefängnis, zu dem sie nach gerichtlichen Falschaussagen verurteilt worden war, hätten ihrer Fitness gut getan.
Das allein wird aber wird nicht für einen Profivertrag reichen. Jones, die pleite sein soll, würde diesen Winter gern noch bei einem europäischen Klub unterkommen und dann ab Mai in der WNBA spielen. Basketball unter Wettkampfbedingungen aber spielte Jones zuletzt 1995, ein Jahr nachdem sie die North Carolina Tar Heels als Aufbauspielerin zur College-Meisterschaft geführt hatte. Damals wurde sie von Basketball-Experten als großes Talent gehandelt, entschied sich aber für die Rennbahn.
Anderthalb Jahrzehnte später hat sich der Sport jedoch dramatisch gewandelt. Die WNBA hat in den 12 Jahren ihrer Existenz zu einer gewaltigen Verbesserung des Niveaus geführt, die Spielerinnen heute sind größer und schneller als zu den Zeiten, in denen Jones zuletzt aktiv war. Finanziell aber kränkelt die WNBA: Die Franchise in Sacramento sucht einen neuen, liquiden Besitzer, die Kadergröße aller Klubs wurde aus Kostengründen auf elf Spielerinnen beschränkt.
Doch gerade diese Krise könnte Jones eine Chance bieten. Nun, da bisherige WNBA-Aushängeschilder wie Lisa Leslie, die mit den Los Angeles Sparks zwei Titel gewann, aus Altersgründen abgetreten sind, sucht die Liga nach neuen Sensationen, die das Publikum anlocken könnten: Eine geläuterte Kriminelle wäre sicherlich so eine Sensation für eine Liga, deren Zielgruppe vornehmlich aus Jugendlichen und Familien besteht.
Jones gibt sich denn auch alle Mühe, die neue Rolle als Vorbild auszufüllen. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht nachdenke über die schlechten Entscheidungen, die ich gefällt habe“, erzählt sie, und dass sie sich frage, „wie ich meine Erfahrung und meine Geschichte nutzen kann, um Menschen zu helfen.“ Sie will unter dem Titel „Take A Break“ ein Programm starten, mit dem sie junge Menschen ermutigt, lebenswichtige Entschlüsse gründlicher zu überdenken. „Ich habe in nicht einmal 30 Sekunden entschieden zu lügen“, sagt sie über den Moment vor dem Richter, der sie schließlich ins Gefängnis brachte.
Ein Basketball-Engagement, so Jones, diene denn auch weniger dem Lebensunterhalt, sondern „als Plattform, meine Botschaft an Jugendliche zu bringen“. Auf dieser „interessanten Reise“ wird sie bereits von einem Kamerateam begleitet: Regisseur John Singleton („Boyz N The Hood“, „2 Fast 2 Furious“) dreht eine Dokumentation für den Sportsender ESPN. Zumindest was ihre Vermarktung angeht, hat Marion Jones augenscheinlich bereits wieder ihr altes Niveau erreicht. THOMAS WINKLER