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Viel Ruhe und Struktur

TENNIS Alexander Zverev gehört zu den Köpfen einer Kampagne, welche die großen Stars von morgen vorstellen möchte. Beim Turnier in Indian Wells zeigt der 18-jährige Deutsche, warum das so ist

INDIAN WELLS taz | An das Schlagwort und die Schreibweise muss man sich erst gewöhnen. #NextGen ist eine Initiative der Spielerorganisation ATP, um jene jungen Leute des Männertennis vorzustellen, die die Stars von heute dereinst beerben sollen. Es ist die Neuauflage einer Kampagne vom Beginn der 2000er Jahre. „New balls, please“ hieß die erste Ausgabe, „New Establishment“ nicht lange danach die zweite. Dazu gehörten die Herren Federer, Roddick, Hewitt, Ferrero, Safin und Kuerten, die dann tatsächlich alle an der Spitze der Weltrangliste landeten, dazu Tommy Haas (Nr. 2) und der Franzose Sébastien Grosjean (Nr. 4).

Für die neue Kampagne aus den Jahrgängen 95 und jünger hat die ATP so viele Spieler ausgesucht, dass darunter zwangsläufig auch einige sein müssen, die es nicht schaffen werden. Zur Auswahl gehören neben dem Kroaten Borna Ćorić, der zurzeit als einziger Teenager zu den besten 50 der Weltrangliste gehört, schon relativ bekannte Leute wie die Australier Nick Kyrgios (Nr. 27) und Thanasi Kokkinakis und der Südkoreaner Hyeon Chung, der Russe Andrej Rublew und die Amerikaner Taylor Fritz und Frances Tiafoe, die mit gerade 18 Jahren zu den Jüngsten gehören.

Aber der Mann der Stunde aus dem Generationenpool kommt aus Deutschland – genauer aus Hamburg. Beim Sieg in der zweiten Runde gegen Grigor Dimitrow (6:4, 3:6, 7:5) bestätigte Alexander Zverev, warum er einer der ersten Kandidaten der #NewGen ist. Am Anfang war er überlegen, in der Mitte zwang er sich zur Ruhe gegen den stärker werdenden Dimi­trow und vertraute offenbar darauf, dass er seine Chancen schon noch bekommen würde und er dann eben zupacken müsste. Der 18-Jährige behielt die Nerven, als es notwendig war, er machte Dampf im richtigen Moment, und am Ende hatte er Glück, als der Ball beim letzten Punkt der Partie zunächst an der Netzkante hängen blieb und dann auf die richtige Seite des Platzes fiel.

Zwei Spiele und zwei Siege in Indian Wells, zwei Auftritte auf dem Centre Court im zweitgrößten Tennisstadion der Welt, das Ganze vorgetragen mit großer Selbstverständlichkeit. Das Interesse an Zverev scheint stündlich zu steigen. So, wie es vor ein paar Jahren bei Grigor Dimitrow gestiegen war. Mit 19 hatte der Bulgare in der Weltrangliste ungefähr in der Region gestanden wie Zverev jetzt (58), und vor allem wegen der Ähnlichkeit seines Spiels mit dem von Roger Federer wurde ihm damals eine große Zukunft vorausgesagt. Dann dauerte es zweieinhalb Jahre, bis er unter den Top 20 landete, und weitere sieben Monate bis zu den Top 10. Aber dort hielt er sich nicht; zurzeit steht er auf Platz 28, und es ist kein Fortschritt zu erkennen. Talent allein ist eine Sache; ohne den richtigen Plan, ohne eine große Portion Ernsthaftigkeit und Struktur im Training über viele Jahre geht es nicht. Und vor allem nicht ohne die Kunst, den richtigen Leuten zu vertrauen. Philipp Kohlschreiber, der nach einem souveränen Sieg nun am Dienstag gegen Novak Đoković spielen wird, hatte erst zuletzt beim Davis Cup in Hannover die Gelegenheit zu sehen, wie der junge Kollege tickt. Die Frage, ob Zverev eine realistische Chance habe, in der Welt des Tennis weit vorn zu landen, beantwortet er mit einem klaren Ja. Er habe viel mit dem Kollegen geredet und habe dabei das Gefühl gehabt, dass seine Ratschläge willkommen seien.

Es ist jedenfalls keine Kleinigkeit, mit den eigenen Erwartungen ebenso umgehen zu können wie mit jenen der Umwelt. Glaubt Zverev, dieser Herausforderung gewachsen zu sein? „Ich denke, dass ich keiner bin, der leicht abhebt“, sagt er. „Ich mag auch keine abgehobenen Leute. Meine Familie sorgt schon dafür, dass ich mit den Füßen am Boden bleibe.“ Wenn die neue Weltrangliste nach dem Ende des Turniers in Indian Wells erscheint, wird der Hamburger wieder ein paar Stufen höher zu finden sein. Am Dienstag wird er in der dritten Runde gegen den routinierten Franzosen Gilles Simon spielen, den er erst vor ein paar Wochen in Rotterdam in einem äußerst sehenswerten Spiel besiegte. Vielleicht landet er ja noch mal auf dem Centre Court. Doris Henkel

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