Lieber weniger erfolgsorientiert

Sie waren Krankenpfleger, stehen nicht auf „Neo-Nenas“ und haben in Mitte beim Veranstaltungsblatt „Partysan“ viel über das Büchermachen gelernt. Mittlerweile ist der Verbrecher Verlag, den Jörg Sundermeier und Werner Labisch vom Mehringhof aus betreiben, auch schon zehn Jahre alt. Ein Porträt

Zum Glück ist der Boden nicht aus Holz, sonst könnte er die Bücher nicht tragen

VON DETLEF KUHLBRODT

Als ich Jörg Sundermeier anrief und fragte, wo denn der Verbrecher Verlag wohne, sagte er, das sei ganz peinlich und ich solle mal raten. Außer meiner Wohnung fiel mir kein richtig peinlicher Ort mehr ein. Ich sagte erst Hackesche Höfe. Er sagte dann Mehringhof. Ich dachte an die verächtlichen Blicke, die ich früher gemeint hatte zu spüren, wenn ich mit meinem schrottigen Fahrrad da vorfuhr; er dachte an die gelbbraunen Farben im Flur, an dem die Verlagsräume liegen. Aber eigentlich sind Jörg Sundermeier und Werner Labisch, die beiden Onkel Verbrecher, supergerne hier; und die Zeiten, in denen es quasi verbindliche Vorstellungen darüber gab, welche Orte als peinlich gelten, sind wohl auch schon vorbei. Draußen ist jedenfalls noch kein Verbecher-Schild angebracht, die Räume des Verlags sind im ersten Stock, weiter hinten.

Sundermeier und Labisch kommen aus Gütersloh und kennen sich seit ihrer Jugend. Früher haben sie als Altenpfleger gearbeitet, heute sieht es lustig aus, wie sie in einer Vorraumausbuchtung auf einer Bank sitzen und dem Fotografen sagen, dass er auf keinen Fall „Cheese“ sagen solle. Stattdessen sagt der Fotograf „Guckt euch mal an, bitte“ und macht viele Bilder. Es ist lustig, wenn Menschen für die Zeitung fotografiert werden. Dann ist der Moment auch vorbei und wir gehen ins eigentliche Büro.

Alles stimmt etwas melancholisch, so viel Patina scheint an den Wänden zu kleben. Das graue, mit EDV-Maschinen und Druckerzeugnissen belegte Schreibtischungetüm im Zentrum des Raumes sieht aus wie früher die taz, zumindest ein bisschen, oder auch wie die Räume der Jungle World, für die Sundermeier immer seine „Der letzte linke Student“ betitelte Kolumne schreibt, die es beim Aschaffenburger Alibri-Verlag auch in Buchform gibt. Reich sind die beiden Verbrecher bislang jedenfalls noch nicht wirklich geworden, deshalb machen sie nebenher Anzeigenakquise und schreiben. Zwar sei es schön, einen Verlag zu haben, doch wenn ihnen plötzlich jemand eine Million schenken würde, würden sie wohl lieber gar nicht mehr arbeiten, sagt Sundermeier. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Im zweiten Raum werden die Bücher gelagert. Manche sind erfolgreich, wie etwa die von Sarah Diehl herausgegebene Anthologie „Brüste kriegen“, die schon in der dritten Auflage vorliegt, oder auch Wolfgang Müllers skurriler „Elfentanz“; andere verkaufen sich nicht so gut. Zum Glück ist der Boden nicht aus Holzparkett, sonst könnte er das Gewicht, das auf ihm liegt, nicht tragen.

Sundermeier mag den Flur noch immer nicht. Für den Gast, der sich nicht täglich mit dem Flur herumschlagen muss, sieht er aber ganz schön aus, vielleicht etwas altmodisch. Andererseits fanden die beiden Verleger Mitte, wo sie lange in der Villa Schwarzenberg Räume hatten, doch eher doof, obwohl das Haus selbst super gewesen sei. Damals empfanden sie es als recht entmutigend, ständig auf der Straße diesen knapp 20-jährigen, erfolgsorientierten Frauen zu begegnen, die aussahen wie Nena Anfang der 80er-Jahre und deshalb „Neo-Nenas“ genannt wurden. Besonders unangenehm an den „Neo-Nenas“ war für Sundermeier, dass sie so wirkten, als wenn sie gerne zur Arbeit gingen. Nett dagegen war es, häufiger den Kollegen der Buchhandlung „pro qm“ über den Weg zu laufen.

Auch die monatlichen „Verbrecherversammlungen“, die früher im Kaffee Burger stattfanden, sind umgezogen und werden nun im Festsaal Kreuzberg veranstaltet. Am Ende sei’s im Kaffee Burger nicht mehr so gut und die Gäste unaufmerksam bis unhöflich gewesen. Ab einer bestimmten Uhrzeit erinnerte das ganze eher an einen „Anmachladen“. Der Festsaal Kreuzberg sei dagegen prima und das Publikum sehr interessiert.

Auf dem Tisch steht ein Gerät, mit dem man Buttons mit dem schönen Verbrecher-Verlag-Logo herstellen kann. Man braucht viele Buttons wegen der Buchmesse, zu der die beiden am nächsten Tag fahren werden. Deshalb herrscht Stress, den man mit Kaffee und Zigaretten noch steigert. Es wird aber nur im Flur geraucht, und Werner Labisch raucht gar nicht, während Jörg Sundermeier noch einmal erklärt, wie alles gekommen ist.

Wenn ich's recht verstanden habe, wurde der Verlag gegründet, um so umsonst an die Manuskripte anderer Leute heranzukommen. Dann sei Dietmar Dath, der für Spex, Titanic und Konkret gewirkt habe, mit einem fertigen Manuskript namens „Cordula killt dich“ vorbeigekommen. Daraus wurde ein kleingedrucktes Buch mit vielen buchmacherischen Fehlern. Irgendwie spielte auch das Veranstaltungsblatt Partysan eine Rolle, wo beide einiges übers Büchermachen gelernt hätten. Und nun macht man den Verlag, „aber ganz langsam“, und „alles, was reinkommt, geben wir wieder aus“.

75 Titel sind bislang erschienen, die ältesten Autoren – Peter O. Chotjewitz und Dietrich Kuhlbrodt – sind über 70, die Schulden sollen immer noch überschaubar sein und das „Kreuzbergbuch“ geht bereits ins vierte Tausend. Das Format der Bücher ist das gleiche wie bei Merve. Das liegt vielleicht auch daran, dass man bei der gleichen Druckerei namens Dressler druckt.

Am schönsten bei der Verlagsarbeit sei es, gute Bücher zu machen, sagt Jörg Sundermeier. Dies erfülle ihn mit „Stolz und Freude, keine Ahnung“. Dann erwähnt er noch, dass es ein schönes Fest zum zehnjährigen Verlagsbestehen geben wird.

Zehn Jahre Verbrecher Verlag, am 25. 10., 20 Uhr, im Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Straße 130