: THEATER
Theater Esther Slevogt
betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen
Er war der Guru und Stardenker unter den deutschen Dramatikern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Heiner Müller, 1929 geboren und 1995 an Krebs gestorben. Die Leute hingen an seinen Lippen, seine Diagnosen trafen meist messerscharf. Der Einbruch der Dritten Welt in die Erste zum Beispiel, den er in seinem Stück „Titus Andronicus „beschwor. Begegnen wir ihm nicht in der aktuellen Krise? Damals, also kurz nach der Wende, da fand man in der allgemeinen Euphorie seine Zukunftsprognosen manchmal übertrieben. Inzwischen sieht Berlin so aus, wie es selbst Müller in seinen kühnsten Albträumen sich nicht hätte ausmalen können. Das Kapital hat die Stadt übernommen. Mitten in ihr Herz setzt gerade der deutsche Geheimdienst seine Zentrale. Vom Berlin der ersten Nachwendejahre und seinen Perspektiven ins Offene ist wenig geblieben. Heiner Müllers 20. Todestag Ende Dezember 2015 hat das HAU zum Anlass für ein Festival genommen.
Zeitgenössischen Gruppen und Künstler*innen wurden damit beauftragt, Müllers Werk als Material aus der Sicht des Heute zu betrachten, darunter unter anderen andcompany&Co., Interobang und Boris Nikitin. Heimliches Zentrum ist eine Installation von Hans-Jürgen Syberberg. „Für Heiner Müller“ ist sie schlicht überschrieben und um Müllers Stück „Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande“ von 1961 herumgruppiert. Es geht um die Bodenreform, als 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR Großgrundbesitzer enteignet und das Land unter Bauern verteilt wurde: ein sozialistisches Signalprojekt, das eine neue Gesellschaftsordnung mit gerechterer Besitzverteilung einleiten sollte. Syberberg lernte damals die Geschichte aus der umgekehrten kennen: als Sohn eines Gutsbesitzers, der seinen Besitz verliert. Müllers und Syberbergs Biografien haben noch andere Schnittpunkte, darunter sind auch Brecht und sein Berliner Ensemble, dem Syberberg lange vor Müller angehörte und dort kurz nach dem Krieg einem der wichtigsten Protagonisten seines umstrittenen Monumentalwerks „Hitler – Ein Film aus Deutschland“ (1971) begegnet ist. (HAU: „Heiner Müller! Festival“, 3.–12. 3. 2016. Programm und Infos unter: www.hebel-am-ufer.de).
Um nicht weniger als eine geknackte Weltformel geht es ab 9. 3. im Theater an der Parkaue, das zurzeit umbaubedingt im Prater in der Kastanienallee residiert. Ivan Panteleev inszeniert dort Dürrenmatts spektakuläres wie aberwitziges Stück „Die Physiker“. Hauptpersonen sind drei Physiker, die in einer psychiatrischen Klinik leben. Einer von ihnen ist Albert Einstein. (Theater an der Parkaue: „Die Physiker“, Premiere 9. 3., 19 Uhr).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen