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Archiv-Artikel

„Auch die andere Seite erreichen“

TEILHABE Für Monika Lüke, die neue Integrationsbeauftragte des Senats, liegen die Vorteile einer multikulturellen Gesellschaft auf der Hand. Skeptiker davon zu überzeugen betrachtet sie als wichtigen Bestandteil ihrer Arbeit

Monika Lüke

■ 43, ist seit November Berlins Integrationsbeauftragte. Sie folgte Günter Piening, der das Amt seit 2003 innehatte. Zuletzt war die Juristin Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, vorher arbeitete sie für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Kenia und Kambodscha sowie als Beraterin in Migrationsfragen für die evangelische Kirche.

■ Vor Lükes Antritt hatte es Unmut bei Migrantenorganisationen gegeben, weil Senatorin Dilek Kolat (SPD) ihre Kandidatin öffentlich präsentierte, ohne deren Anhörung vor dem Integrationsbeirat abzuwarten.

VON ALKE WIERTH

taz: Frau Lüke, seit zwei Monaten sind Sie jetzt Integrationsbeauftragte. Sie haben sich ein Bild gemacht, viele Migrantenorganisationen besucht – was hat Sie am meisten überrascht?

Monika Lüke: Überrascht hat mich, wie viel einerseits los ist im Bereich der integrationspolitischen Aktivitäten und wie wenig das andererseits in der gesellschaftlichen Wahrnehmung verankert ist. In den vielen Projekten der Migrantenorganisationen, der Wohlfahrtsverbände, der sozialen Dienste bildet sich ab, dass Berlin vielfältig ist, dass ganz unterschiedliche Akteure, egal wo sie herkommen oder welche Staatsbürgerschaft sie haben, sich für das Zusammenleben in Berlin verantwortlich fühlen. In der öffentlichen Wahrnehmung findet sich das noch nicht ausreichend wieder.

Woran machen Sie das fest?

Ich habe in einem Interview gesagt, dass wir eine multikulturelle Gesellschaft sind, und das sind wir in Berlin allemal: Hier leben Menschen aus über 180 Herkunftsländern mit ebenso vielen Weltanschauungen, die meisten sind schon viele Jahre hier und nehmen am gesellschaftlichen Leben teil. Ich habe daraufhin viele empörte Zuschriften bekommen. Das hat mich sehr erstaunt und erschüttert.

Von wem kamen die?

Von Menschen, die aufgrund ihrer Namen und dem, was sie schreiben, vermuten lassen, dass sie keinen Migrationshintergrund haben. Und die ich nach dem, was sie mir geschrieben haben, als Mittelschicht bezeichnen würde.

Was bedeutet denn „multikulturelle Gesellschaft“ für Sie?

Für mich heißt es gleichberechtigte Teilhabe und Chancengleichheit unter Anerkennung der Verfassungsstrukturen unseres Gemeinwesens. Ich glaube aber, das Problem liegt nicht in der Begrifflichkeit. Es ist grundlegender. Es hat sich in vielen Köpfen immer noch nicht durchgesetzt, dass sich die Gesellschaft maßgeblich verändert hat. Ein Viertel der BerlinerInnen hat einen Migrationskontext, das sind knapp eine Million Menschen. Bei den unter 15-Jährigen sind es bereits 43 Prozent. Unsere Gesellschaft verändert sich also und wird sich weiter verändern. Es ist leider in vielen Köpfen noch nicht präsent, dass Deutschsein mittlerweile etwas ganz anderes bedeutet als noch vor 40 Jahren.

Ihr Vorgänger Günter Piening hat sein Amt niedergelegt, weil er glaubte, seine Auffassung von Integrationspolitik unter Rot-Schwarz nicht fortführen zu können. Der integrationspolitische Sprecher der CDU, Burkard Dregger, hatte damals gesagt, Piening mache den Menschen Angst, wenn er vertrete, Integration bedeute das Entstehen einer neuen Gesellschaft.

Wenn Herr Piening nicht gemacht hätte, was er gemacht hat und was ich beeindruckend finde – hätten die Menschen dann weniger Angst? Ich glaube, das hat nichts miteinander zu tun. Es gibt in der Tat ein Problem bei der Wahrnehmung von Integrationspolitik. Das geht aber einher mit dem grundsätzlichen Verlust von Vertrauen in die Politik und mit Ängsten. In der Vergangenheit hat sich das oft in Fremdenfeindlichkeit entladen. Es gibt aber gute Gründe, diese Ängste, diese Abwehr zu hinterfragen. Zum einen sind die Einwanderer keine Fremden, sondern nach ihrer Einbürgerung Deutsche oder lange hier lebende Menschen. Zum anderen brauchen wir Einwanderung, um Wohlstand und ein sozialstaatliches Niveau halten zu können. Das sind für mich eingängige, leicht vermittelbare Argumente – warum die nicht überzeugen, treibt mich um. Ich glaube, dass Integrationspolitik auch da Verantwortung übernehmen und Lösungen entwickeln muss. Wir haben viel Kontakt zu MigrantInnen und ihren Organisationen. Aber wir müssen auch die andere Seite der Gesellschaft, die ohne Migrationskontext, erreichen.

Bei Ihrer Ernennung sagten Sie, Sie wollten Fürsprecherin der MigrantInnen sein.

Mir ist in den letzten Wochen sehr klar geworden, dass diese Aussage nicht ganz treffend war. Es geht darum, dass beide Seiten offen aufeinander zugehen. Dass integrationspolitische Maßnahmen nicht als etwas verstanden werden, das sich nur an die richtet, die herkommen, womit die anderen nichts zu tun haben und was sie nicht interessieren muss.

Was werden Sie integrationspolitisch in den kommenden fünf Jahren angehen?

Ich möchte ein neues Integrations-, besser Partizipationskonzept. Das letzte ist von 2007, seither hat sich einiges verändert. Viele Herausforderungen sind aber geblieben. Die Bereiche Bildung, Arbeit, Chancengleichheit sind weiterhin Baustellen. Immer drängender wird es, auf die Bedürfnisse der älteren Migranten einzugehen, deren Zahl stetig steigt. Es ist mir wichtig, mit einer Partizipationspolitik zur Teilhabe an unserer Gesellschaft zu motivieren. Das wird ein Kernpunkt meiner Arbeit sein.

Integrationskonzepte und -gesetz waren maßgebliche Instrumente Ihres Vorgängers. Guckt man sich aber die Umsetzungsberichte dazu an, ist nicht viel daraus gefolgt.

Ich finde sowohl das Partizipationsgesetz gut wie auch das Integrationskonzept von 2007. Es ist auch gut, in solchen Instrumenten Berichtspflichten oder Indikatoren zur Messung von Fortschritten zu verankern. Ich denke aber, dass die Indikatoren des letzten Integrationskonzepts teilweise sehr hohe Erwartungen geweckt haben. Heute gibt es mehr Erfahrung mit Indikatoren, da würde man das anders formulieren.

Zum Beispiel?

Einige der Sachen, die man beobachten will, sind schwer messbar, weil Datenerhebungen, die Migrationshintergründe erfassen, aufgrund der Gesetzeslage nur sehr eingeschränkt möglich sind. Das ist ja auch richtig, weil es sehr sensible Daten sind. Deswegen sind die bisherigen Berichte unzureichend, und es ist sehr schwierig, über messbare Fortschritte beim Partizipations- und Integrationsgesetz zu berichten. Ich sehe es als große Herausforderung, das zu ändern – deshalb sind aber die Instrumente als solche nicht falsch. Es ist richtig, durch ein Integrationskonzept politische Prioritäten zu setzen und die auch einzuhalten.

In einem Bereich wie Integrationspolitik ist es ja auch nicht prinzipiell falsch, symbolische Politik zu machen.

Aber es darf nicht dabei bleiben.

„Es ist leider in vielen Köpfen noch nicht präsent, dass Deutschsein mittlerweile etwas ganz anderes bedeutet als vor 40 Jahren“

Was sind Ihre konkreten Ziele?

Wichtig ist mir, Integrationspolitik so zu verankern, dass sie nicht mehr Randpolitik oder auch nur Querschnittspolitik ist, sondern wirklich Kernpolitik. Sie betrifft ja mindestens ein Viertel der Berliner Bevölkerung direkt – nach meinem Verständnis eigentlich alle, weil es um das Zusammenleben geht. Ich werde in enger Abstimmung mit allen Ressorts ein neues Partizipationskonzept formulieren, damit tatsächlich alle Verwaltungsbereiche – etwa Stadtentwicklung, Soziales oder Bildung – Partizipation und Integration als eigene Politik betreiben.

Geht das denn, nachdem Ihr Posten von der Staatssekretärsebene auf die einer Abteilungsleiterin herabgestuft wurde?

Für mich ist das nicht wichtig, Aufgabenbeschreibung und Zuständigkeiten haben sich dadurch ja nicht geändert. Ich muss sehen, dass ich politisch Einfluss habe, dass ich das eigene Haus und andere Häuser von meinen Prioritäten und meinem Verständnis von Integrationspolitik überzeuge. Ich glaube nicht, dass ich da in einer schlechteren Position als mein Vorgänger bin. Auch Herr Piening hat nicht an den Staatssekretärsrunden teilgenommen. Da sitzt jetzt für das Ressort Integrationspolitik mit Farhad Dilmaghani ein Staatssekretär. Das hat Potenzial, das Thema eher zur stärken.

Und was werden Sie tun, um den Teil der Gesellschaft ohne Migrationshintergrund zu erreichen?

Ich bin seit acht Wochen im Amt und reflektiere gerade jetzt in der Weihnachtspause darüber, was ich bisher mitbekommen habe. Mir ist klar geworden, dass ich als Migrationsbeauftragte eine Brückenfunktion wahrnehmen muss. Wie und was da machbar ist, werde ich im nächsten halben Jahr angehen und ausprobieren. Ich habe viele Menschen getroffen, die in Migrantenorganisationen arbeiten – und die auch längst nicht mehr alle selber einen Migrationshintergrund haben. Ich habe vor, alle Seiten kennenzulernen. Wenn es sein muss, auch die Verfasser der zornigen Zuschriften. Die betrachte ich als Stimmungsindikator, den ich nicht ignoriere.

Sie haben beruflich bisher mehr auf internationaler Ebene gearbeitet, was Ihnen sicher einen hilfreichen Eindruck von Migration in ihrer globalen Dimension verschafft hat. Wieso kommt jemand von dort auf die lokale Ebene, um sich hier mit Verwaltung auseinanderzusetzen?

Ich glaube, die Kontexte sind nicht so verschieden, wie man denkt. Es gibt ungeahnte Parallelen, die mich selbst überraschen. Mir verschaffen Aufgaben berufliche Zufriedenheit, bei denen ich sehen kann, was am Ende herauskommt, wo ich mit denen sprechen kann, die ich erreichen will und unmittelbares Feedback bekomme. Das habe ich hier eher.