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Auf der Suche nach dem Stamm

Theater Das Gegenteil von Freizeitstress waren die Inszenierungen von Christoph Marthaler schon oft. So ist auch „Hallelujah (Ein Reservat)“ an der Volksbühne grundiert, vergangenen Sehnsüchten nachspürend

von Katrin Bettina Müller

Der Blick geht nach Westen, den Indianern gilt die Sehnsucht. Aber die Kadrierung ist größtenteils im Osten festgemacht in dem Country- und Westernmusikabend „Hallelujah (Ein Reservat)“, den Christoph Mar­thaler für die Volksbühne entwickelt hat. Das sagt einem nicht nur das flachgelegte Dinosaurier-Skelett auf der Bühne, das glatt aus dem seit Jahrzehnten geschlossenen und vergammelnden Freizeitpark im Plänterwald stammen könnte, sondern auch ein Teil der Texte.

Da ist Hildegard (Hildegard Alex), ehemalige Kassenkraft, die auf der Bühne aus dem Fensterchen ihres Ticketschalters erst mal jeden anraunzt „Hinten anstellen“, bevor sie ihre Geschichte aus der Interessengemeinschaft für Indianisten erzählt. Sie hatte schon mögliche Väter für ein Kind im Stamm der Dakota gefunden, als die Staatssicherheit ihrem Auswanderungswunsch einen Strich durch die Rechnung machte.

Damit hat die Sehnsucht einen starken Antriebsmotor. Und das Bühnenbild von Anna Viebrock, seit Langem Arbeitspartnerin des Regisseurs Christoph Marthaler, ein Stichwort: Zäune bauen, hier in Gestalt der Absperrgitter, die die Warteschlange vor Hildegards Schalter im Zickzack falten. Mit ebenso viel Eifer wie Ungeschick baut das Ensemble an der Absperrung rum, in Gedenken an eine arbeitskraftintensive und letztlich doch ineffektive Form der Kontrolle. Hingebungsvoll verhakeln sie die Füße der Gitter, zelebrieren lange die Ergebnislosigkeit ihres Tuns. Zeit verstreicht und das Publikum, leise glucksend, schaut dem Verstreichen der Zeit zu.

Ohne Plan

Später einmal schauen auch die Schauspieler lange nur zu, die meisten jedenfalls, wenn Olivia Grigoli, stets auf der Suche nach dem Stamm der „Hobby-Indianer“, ihr Zelt an der Rampe aufzuschlagen versucht, still, konzentriert, trotzdem ohne Plan und ohne Ahnung. Niemand hilft, alle sind fasziniert von so viel Einsatz ohne Ergebnis. So kann man der inneren Verfasstheit einer vergangenen Epoche auch ein Denkmal setzen.

Oft aber scheint an diesem Abend das Theater und die historische Verortung nur eine Verbrämung für den Wunsch, sich einen schönen Konzertabend mit Countrymusik zu machen. Man hört Songs von Hank Williams, Dean Reed, Emmylou Harris, Gunter Gabriel und anderen. Manche werden frühlingshell gesungen von Tora Augestad in roten Cowboystiefeln (“Save the last dance for me“, „Little Sparrow“). Andere von Katja Kolm, die nebenbei auch Wunderkinder im Showgeschäft zu verkaufen scheint, mit vielen Jodlern schon etwas aggressiver vorgetragen. Dann aber murmelt müde und melancholisch Ueli Jäggis mit plötzlich rauer Stimme “I’m so lonesome, I could cry“ vor sich hin. Die anderen tanzen langsamen Walzer, langsam wie nie. Hardy Kayser an der Gitarre und Clemens Sien­knecht am Keyboard begleiten sie.

Aus vielen Miniaturen setzt sich der Abend zusammen, oft für und von einzelnen Schauspielern entwickelt. Marc Bodnar, der den französischen Akzent im Deutschen wie ein schweres sprachliches Hindernis pflegt, kämpft sich Wort für Wort durch die Erinnerungen von Pierre Brice, dem westdeutschen Winnetou-Darsteller, der von dieser Rolle aufgesogen und verschlungen wurde.

Hingebungsvoll verhakeln sie die Füße der Gitter, zelebrieren lange die Ergebnislosigkeit ihres Tuns. Zeit verstreicht, und das Publikum, leise glucksend, schaut dem Verstreichen der Zeit zu

Ueli Jäggi übernimmt trocken und gänzlich unbeeindruckt vom mangelnden Interesse seiner Zuhörer den Part von Norbert Witte, dem glücklosen Entrepreneur, der den Spreewaldpark nach der Wende übernahm und mit realitätsfernen Visionen unterging.

Ein fantastischer Monolog gilt den Beziehungen zwischen Menschen und Tieren und den Möglichkeiten der Verwandlung in einen Bären. Raphael Clamer klöppelt sich dabei mit einem Paar Drumsticks, die er flink und leicht über Wände, Boden, den eigenen Körper und alles weitere Erreichbare führt, durch hüpfende, springende, elegante Rhythmen. Man nimmt sie ihm ohne Weiteres ab als Trippeln und Tapsen der Geistertiere, die im Übrigen aus einem Text von Gerhard Falkner stammen.

Christoph Marthaler hat schon in vielen seiner musik-verliebten und in Geschichte hineinhörenden Theaterabende zugleich die Langsamkeit gefeiert. Sein Theater ist immer das Gegenteil von Stress und angestrengter Bedeutungssuche. Das gilt diesmal sowohl dem Freizeitstress, der mit Bungee-Jumping und Free Climbing die Sensation und den Wettbewerb sucht, als auch der behaupteten Bedeutung, wie sie Themenparks gerne vor sich hertragen. Aber er hat eben auch ein Herz für Verlierer, gescheiterte Utopisten, wie hier den Fahrgeschäftsspezialisten, dem alles zu Schrott unter den Händen gerinnt.

Überraschend ist das alles nicht, sympathisch trotzdem. Und so fühlt man sich bald ein wenig wie die Dauerkartenbesitzerin im Spreewaldpark, die noch 3.508 Tage lang Zuckerwatte essen muss.

Wieder am 21., 27. 2. und am 3. 3. in der Volksbühne

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