: Im Anwohnerpark
MANJA PRÄKELS
Teil 23: Einstein nach dem Anderen
Komme gleich wieder.“
Da lag er nun, der Scherzkeks.
Mausetot. Mit abgenagten Knochen.
Der krumme Komponist spuckte verächtlich auf das Grab zu seinen Füßen. Er wankte. Die Flasche war fast leer getrunken und er dachte nicht daran, aufzuhören. Die gute Nachricht hatte ihn am Morgen erreicht. Ein neuer Auftrag. San Francisco. Und das Gefühl, alles erreichen zu können: Die Sonne, die scheint nur für dich, du glücklicher Schweinehund. Als aber wenig später erneut das Telefon piepte, er noch ganz benommen von sich selbst, flüchtig auf das Display blickte … verflucht! Nein! Niemals! Mitja, der Geliebte, sein Mond, sein Stern, sein Alles … Ein dicker Krähenvogel schrie von einem der Kastanienbäume am Eingang des Friedhofs. Hier, am Ende der kleinen Straße nordöstlich des Fernsehturms, ging der erfolgreiche Komponist in die Knie.
Quietschend glitt das Zeitungspapier über die Scheibe. Hildegard putzte allein, denn Lale war immer noch nicht wieder auf dem Damm. Ohne ihre beste Tresenkraft erschien ihr diese Tätigkeit noch öder als sonst. Irgend so ein Touristenbengel oder Klassenfahrtclown hatte einen sprechenden Riesenpimmel quer über den Eingang des blaulicht gekrakelt. „Ich will Kanzlerin werden!“ Witzigkeit kennt leider keine Grenzen. Django auch nicht. Der beste Gitarrist der Welt war zwar neulich aus seiner Höhle im letzten unsanierten Haus gekrochen und im Stammlokal aufgetaucht. Aber genützt hatte das Gespräch wenig.
„Wie jetze? Die zwee Typen haben dich ausjehorcht, sogar Jeld dafür bezahlt, und du kannst dich nich mehr erinnern, worum et dabei jing?“
„Mann, ich bin abgestürzt in der Nacht, hab durchgezogen …“
„Und wie die aussahen, haste ooch vajessen?“
Der Junge hatte nur genickt und gestunken. Aber wie! Biotonnen im Hochsommer.
„Django, ich muss es jetzt wissen: Hast DU Lale das angetan?“
„Hildchen, glaub mir doch, ich kann mich nicht erinnern …“
Was für ein Kronzeuge. Weder würden die Gerüchte enden, noch die Explosion im Hinterhof aufklärt werden. Als seien in Djangos Kopf zwei riesige schwarze Löcher miteinander kollidiert, waren die Gravitationswellen in alle Richtungen davongewabert, bis weit über die Stadtgrenzen hinaus, zu Riekes Biohof, wo Lale weiter stumm dalag und sich nicht regte. Sie drangen durch die Mauern des Moabiter Untersuchungsgefängnisses, hinein in die Zelle des Chauffeurs, dem ein Schauer über den Rücken lief. Und im Panketal löste sich ein Dachziegel, schlug plump auf einem Sack Kartoffeln ein. Die Dummheit, das All und auch Djangos Durst waren unendlich. Er brauchte dringend Hilfe. Und Hildegard bekam den Riesenpimmel nicht von ihrer Tür gewischt.
Im Bioladen sortierte Anne neue Ware in die Regale, während ihre usbekische Aushilfskraft Nura das schwule Pärchen aus den Hinterhaus bediente. Die beiden mochten die Kleine. Und Nura konnte jede Art von Zuwendung gebrauchen, seit sie die Pläne ihres Vaters kannte: Er hatte sie ungefragt dem Sohn des Bürgermeisters versprochen. Oder verkauft? Annes Schädel brummte. Nachdem die Jungs aus der Schweiz zurückgekehrt waren, hatte sie keine Nacht mehr durchschlafen können. Es war, als ob sie auf unterschiedlichen Wellen funkten, die sich gegenseitig zu bestärken schienen. Langsam drohte Annes heiß gelaufener Empfänger in die Luft zu fliegen.
„Nura, wo hast du die Frischmilch hingestellt?“
„Warrr kaiiine daaaa.“
„Aber das kann doch nicht sein!“
Die Kaufhalle war übervoll. Flaschensammler belagerten den Automaten im Eingangsbereich. Schmalgesichtige Büroangestellte jagten Obstsalate für ihre Mittagspause. Besorgte Mütter umfuhren mit ihren übervollen Einkaufswagen weiträumig fremde Kleinkinder. Konnten die die Gänge nicht ein andermal verstopfen? Ausgerechnet heute, wo der Lieferant so einen Scheiß gebaut hatte! Ihre Produkte im Supermarkt nachkaufen zu müssen, war Anne unangenehm. Schon beschlich sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Vor dem Kühlregal tuschelten zwei miteinander, während sich ihre Kleinen vergnügt auf dem Boden wälzten. „Guck, die aus dem Bioladen kauft ihre Butter auch hier!“ Anne phantasierte. Oder?
„Wir zwei sollten mal einen Kaffee miteinander trinken.“
„Hä?“
Oma Heinrich war so plötzlich vor der Bioladenbesitzerin aufgetaucht, dass Anne prompt die Butter fallen ließ. Umständlich hob die Alte das Stück mit ihren Schrumpelfingern wieder auf, streckte es ihr entgegen und fuhr fort:
„So, wie sich die Dinge entwickeln, hätte ich gegen ein Gespräch nichts einzuwenden.“
Manja Präkels,Jahrgang 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band Der Singende Tresen. Soeben erschien beim Verbrecher Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.
Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com.
Anne machte auf dem Absatz kehrt, ließ Charlotte Heinrich, geborene Roth, einfach stehen und flüchtete, unverrichteter Dinge, hinaus ins Freie. Sie würde Nura rüberschicken. Sich verbarrikadieren. Irgendwas ohne Menschen. Beim Überqueren der Straße fiel Annes Blick auf eine kleine Gruppe Demonstrierender. Mit selbst gebastelten Pappschildern hatten die sich vor der Turnhalle aufgebaut. „Gegen Überfremdung“ und „Schützt unsere deutschen Frauen“ stand da drauf. Bloß schnell zurück in den Laden.
Eigentlich mochte Hildegard den schweigsamen Hünen aus dem Haus gegenüber. Doch nun saß der Kerl mit stierem Blick an ihrem Tresen. Sie kannte diesen Ausdruck sehr genau. Jeden anderen hätte sie längst zur Tür hinaus begleitet, auf Hildegard-Art. Aber bei diesem Russen war sie sich nicht sicher. Es polterte kurz an der Tür. Dann stürmte Sprottenpeter mit dem Getöse eines hungrigen Seebären ins blaulicht.
„Kiek an, wen ick dir mitgebracht hab, Mädchen!“
„Der hat hier Hausverbot.“
„Ich weiß. Nun rate mal, wo ich ihn gefunden habe!“
Sprottenpeter hielt den zappelnden Heiko wie eine Trophäe am Schlawittchen. Hildegard hatte keine Lust, zu raten. Unbeeindruckt zapfte sie ein Bier und wandte sich dem Gastraum zu.
„Schon jehört?“, fragte sie den krummen Komponisten, dem ein Speichelfaden aus dem Munde hing.
„Einstein hatte Recht.“
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