: Sozialisten glauben nicht an Gott
LOS GEHT’S Daniel Kahn & The Painted Bird spielen im Kaffee Burger Verfremdungsklezmer: Vorwärts marschierend und rückwärts erinnernd bewegen die Songs von Brecht, Tucholsky und der jiddischen Arbeiter Herz und Beine
VON ULRICH GUTMAIR
„Wir fangen heute ruhiger an“, sagt Daniel Kahn, der mit einer selbst gebastelten Ukulele, einem Gastfiedler und seinem Klarinettisten auf der Bühne des Kaffee Burger steht. „Ihr könnt tanzen, aber nicht zur Musik.“ Kahn hat Humor, eine schöne, prägnante Stimme, und das Jiddisch, das er singt, kann man halbwegs verstehen, wenn man aus Süddeutschland kommt. Kahn trägt eine Lederjacke, wie sie um 1930 im Wedding populär gewesen sein dürfte. Einen Hut hat er auf, seine Augen mit Kajal geschminkt, der Vollbart ist gestutzt.
Ruhig bleibt es nicht lange. Nach ein paar Stücken werden Trommler, Kontrabassist und bald noch ein Saxofonist auf die Bühne geholt. „I know, you have come to listen to Klezmer, to hear some pumping russian disco. You orientalists!“, ruft Daniel Kahn. Dann kann es losgehen.
Zu traditionalistischen osteuropäischen Weisen mit einer leisen irisch-amerikanischen Färbung singt Kahn, der Detroiter, der viel Zeit in Berlin verbringt, über die „Ruinen vom Görlitzer Park“. Vom Borschtsch wird erzählt, der rumpelnd Liebe im Bauch macht. Kahn und seine Band interpretieren Tucholskys „Rosen auf den Weg gestreut“, das 1931 die Appeasementpolitik des deutschen Bürgertums mit dem Refrain „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft“ ironisierte.
Brechts „Ballade über die Frage: Wovon lebt der Mensch?“ wiederum ist die perfekte Überleitung für Kahns Song „Parasites“, der von der Wespe Ampulex compressa erzählt. Sie setzt sich auf den Rücken eines Kakerlaks und anästhesiert ihn mit ihrem Gift. Dann führt sie den Kakerlak in ihr Erdloch und legt ein Ei auf seinen Rücken. Die daraus schlüpfende Larve frisst sich langsam durch ihren Wirt: „Ain’t it easy living as a parasite?“
So spielen Daniel Kahn und seine Band ihre eigenen Stücke auf Englisch neben deutschen Liedern und hundert Jahre alten jiddischen Weisen aus dem zaristischen Russland. Die Geschichte von Yosl Ber wird zum Besten gegeben, der aus der russischen Armee desertiert, weil, wie er seinem Offizier später erklärt, den Feind so hasst, dass er ihm nicht in die Augen schauen will. Bald tanzen die Mädchen zum Rhythmus der Polka.
Gestörter Genuss
Es ist ganz große Kunst, die Daniel Kahn & the Painted Bird machen und nicht von ungefähr „Verfremdungsklezmer“ nennen. Man kann ihre vorwärtsmarschierenden und melancholisch erinnernden Songs als bewegende Musik nehmen und sich daran freuen. Das ist natürlich das grundsätzlich Problem des Klezmerkonzerts, das immer einen frivolen Beigeschmack hat, weil die meisten Leute, die diese Musik geschrieben und gespielt haben, von deutschen Herrenmenschen umgebracht worden sind. Der orientalistische Genuss wird durch den Kahn’schen Vortrag aber schon dadurch gestört, dass er gar nicht vom pittoresken jüdischen Leben im Osten handelt, sondern vom Arbeiterkampf um die Freiheit.
Die jiddischen Lieder im Programm der Band stammen fast allesamt aus dem Umfeld des sozialdemokratischen „Algemeynen Yidishen Arbeter Bund in Lite, Poyln un Rusland“. Er wurde 1897 gegründet und sollte die damals größte jüdische Bevölkerung auf der Welt einen, auf dass sie am Aufbau eines fortschrittlichen Russlands mitarbeite. In ihm hätte die Religion nichts mehr zu sagen, und Männer und Frauen wären gleichberechtigt. Weil das zukünftige sozialistische Russland das gelobte Land war, in dem die jüdische Nation einen Minderheitenstatus bekommen sollte, waren die Leute vom Bund auch gegen die „narrischen Zionisten“. Vom plumpen deutschen Antizionismus ist das weit entfernt.
Mancher wartet an diesem Abend vergeblich auf den Hit ihres aktuellen „Kompaktl“, die „Partisans & Parasites“ betitelt ist. „Six Million Germans/ Nakam“ heißt das Lied, auf die Kahn heute Abend keine Lust gehabt hat, wie er nachher erzählt. Diese Moritat erzählt die wahre Geschichte vom jüdischen Partisanen Abba Kovner und seinen Genossen. Sie sind Sozialisten und glauben nicht an Gott. Daher beschließen sie nach dem Krieg, auf dieser Welt für Gerechtigkeit zu sorgen und sechs Millionen Deutsche zu vergiften. Das klappt nicht, weil die Briten davon Wind bekommen und Kovner einsperren. Einem seiner Mitstreiter gelingt es aber, einige hundert internierte SS-Leute mit vergiftetem Brot umzubringen.
Statt „Nakam“ zu spielen, hat sich Daniel Kahn an diesem Abend ein anderes Statement zu Ort und Geschichte ausgedacht. Er singt „Lili Marlen“ auf Jiddisch.
■ Daniel Kahn & The Painted Bird wieder am 6. Februar im Kaffee Burger