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„WennEmmysang,waralleswied[e]r gut„

Dada-PAAR Emmy Hennings, die Lebenspartnerin des Dada-Erfinders Hugo Ball, stammte aus Flensburg. Sie war nicht nur eine gute Entertainerin im Cabaret Voltaire, sondern auch selbst eine interessante Autorin

Bärbel Reetz

73, Germanistin und Anglistin, lebt in Berlin. Im September 2015 erschien ihre Doppelbiografie über Emmy Ball-Henings und Hugo Ball: „Das Paradies war für uns“(Insel Taschenbuch, 477 S., 16,99 Euro).

Am 8. Februar stellt Reetz das Buch in Kiel vor: 19.15 Uhr, Literaturhaus, Schwanenweg 13

Interview Petra Schellen

taz: Frau Reetz, was wäre Dada ohne Emmy Hennings?

Bärbel Reetz: Dada gäbe es auch ohne Hennings. Denn die Ideengeberin war ja nicht sie, sondern ihr Partner und späterer Ehemann Hugo Ball. Emmy Hennigs war aber insofern eine Stütze für das Zürcher Cabaret Voltaire und die Galerie Dada, als sie die einzige mit Kabarett-Erfahrung war. Sie konnte singen, tanzen und wusste, wie man Menschen mitreißt, die dem Programm nicht mehr folgen mögen.

Waren das so viele?

Einige. Denn im Publikum saßen ja nicht nur Studenten, politische und künstlerische Emigranten, sondern auch „Normalgäste“, die schnell nichts mehr verstanden und meuterten. Wenn dann Emmy auftrat, sang und die Beine schmiss, war alles wieder gut.

Sie war also fürs Oberflächliche zuständig?

Ja und nein. Das Gesamtkonzept trug sie mit, aber im Cabaret war das die Arbeitsteilung. Im Übrigen begann sie damals, selbst längere Texte zu schreiben, etwa die Erinnerung an ihre Gefängnisaufenthalte. Gedichte hatte sie schon vorher verfasst. Und was sie schrieb, hatte Substanz.

Wie bedeutend ist Hennings als Autorin?

Da sie nach Hugo Balls Tod vor allem dessen Konversion zum Katholizismus thematisierte, hat man sie lange in die Ecke der katholischen Autorin gestellt. Inzwischen werden aber ihre autobiographischen Romane systematisch erforscht, und bald soll eine Werkausgabe kommen.

Verarbeitete sie schreibend auch Schuldgefühle – wegen Prostitution, Drogensucht und der Vernachlässigung ihrer Tochter?

Das war sicher ein Motiv. Andererseits hatte sie durch ihre Konversion 1911 einen Weg gefunden, mit ihren Schuldgefühlen umzugehen, etwa durch die Beichte. Hinzu kam, dass das Bohème-Milieu, in dem sie verkehrte, nicht diese bürgerlichen Maßstäbe anlegte.

Aber in ihren Romanen „Blume und Flamme“ und „Das flüchtige Spiel“ thematisiert sie das Weggeben ihres Kindes.

Ja. Allerdings schrieb sie beide Bücher während des „Dritten Reichs“, als sie ihr geliebtes Schleswig-Holstein nicht mehr besuchen konnte, denn sie war verfemt – wegen ihrer Nähe zu Ball und ihrer Ablehnung des NS-Regimes. Sie empfand aber große Sehnsucht und schrieb sich in diesen Büchern in ihre Kindheit zurück.

Wie glücklich war diese ärmliche Flensburger Kindheit?

Emmy hat die schleswig-holsteinische Landschaft und das Wasser sehr geliebt und das ärmliche Aufwachsen wohl nicht als so bedrückend empfunden. Erst als ihre achtjährige Schulzeit endete, begriff sie, was von ihr erwartet wurde: dass sie als Haushaltshilfe in Stellung ging und später heiratete. Da wurde ihr klar, dass sie die Weltreisen, von denen ihr Vater, der Schiffstakler, erzählte, nicht würde machen können. Also hat sie versucht, aus dieser Situation herauszukommen.

Nämlich wie?

Sie versuchte in dem Foto-Atelier, wo sie als Kopiererin arbeitete, in ein anderes Milieu hineinzukommen und schloss sich dann der Laien-Wandertheatertruppe Schmidt-Agte an.

Und deponierte ihre kleine Tochter bei der Mutter.

Ja. Sie selbst hat einmal gesagt, dass sie eine nicht zu bekämpfende Weglauf-Sucht verspürte, den Drang, aus der Enge Flensburgs herauszukommen. Und als sie ihre Tochter Annemarie geboren hatte, wusste sie: Entweder sie bringt das Kind zur Mutter und zieht wieder los. Oder sie bleibt und sucht einen Ehemann. Aber das war nicht ihr Weg.

Fehlte es ihr an Verantwortungsgefühl?

Das ist ein Zug, der immer mal wieder bei ihr auftaucht, speziell im Zusammenhang mit dieser Tochter, die ihr ungelegen kam. Emmy tingelte ja durch die Lande, da war ein Kind lästig. Und ihre Mutter hatte schon den früh verstorbenen Sohn aus Emmys kurzer Ehe mit Joseph Hennings behütet und nahm jetzt auch Tochter Annemarie. Allerdings bat sie ihre Tochter, immer mal Geld zu überweisen – was bei Emmys unstetem Lebenswandel kaum möglich war.

Emmy ist sowohl für ihren Freund Ferdinand Hardekopf als auch für Hugo Ball auf den Strich gegangen. Wie eigenständig war sie?

Ich würde sagen, dass Emmy eine sehr emanzipierte Person war. Und dass sie die Prostitution nicht als echten Makel empfand – auch wenn sie das im Tagebuch-Roman „Das Brandmal“ thematisiert und um Vergebung bittet. Dazu muss man wissen, dass sich Theaterschauspielerinnen damals stets an der Grenze zur Prostitution bewegten. Sie wurden nicht nach Talent ausgesucht, sondern aufgrund ihrer körperlichen Reize. Was ihre Freunde betrifft, glaube ich nicht, dass sich Emmy gezwungen fühlte.

Was fand sie überhaupt an dem Asketen Hugo Ball?

Dieser Typ Mann gefiel ihr. Außerdem glaubte sie, er könnte ihr helfen auf ihrem religiösen Weg.

Gelang die Beziehung?

In ihren ersten Büchern nach Balls Tod verklärt sie sie. Aber in ihrem letzten Erinnerungsbuch scheinen Probleme durch. Im Zusammenleben muss es große Schwierigkeiten gegeben haben. Doch sobald sie getrennt waren, waren sie ein Herz und eine Seele, das zeigen die Briefe. Sie haben das zu lösen versucht, indem Emmy viel reiste und Hugo zuhause im Tessin blieb.

Da hatte sich Ball schon von Dada abgewandt. Warum?

Weil er fand, dass Dada aus spontaner Kreativität entstehen müsse und keine Manifeste brauchte, wie sie Tristan Tzara schrieb. Auch wird ihn die Organisation des Cabaret Voltaire geschlaucht haben, sodass er floh.

In den Katholizismus.

Nein. Zunächst agitierte er als politischer Journalist gegen den Krieg. Erst 1920 konvertierte er und schrieb Viten uralter byzantinischer Säulenheiliger und Märtyrer. Er empfand ihren Widerstand gegen die Staatsgewalt wohl als revolutionär.

Und wie politisch war Emmy?

Ausgeprägt politisch. Sie hat Margot Jung geholfen bei einer Passfälschung, damit Franz Jung desertieren konnte. Zudem hat sie während des Ersten Weltkriegs einen Friedensaufruf verfasst. Auch ihre Haltung zum Dritten Reich war sehr klar.

Handelte sie auch?

Ja. Sie hat versucht, den Juden Erich Mühsam 1933 aus dem KZ Oranienburg zu holen, indem sie Freund Hermann Hesse um Hilfe bat. Als sich Hesse weigerte, wurde sie sehr böse auf ihn und fuhr selbst nach Berlin. Ob sie Mühsam noch einmal sah, ist nicht sicher. Mühsam wurde ja bereits 1934 von den Nazis hingerichtet.

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