Widerspruch ist gar nicht zwecklos

Bei Hartz IV wird gefordert und gefordert, sagt Michael Sittig von „Finanztest“. Die Mehrheit der ALG-II-Empfänger hat weniger Geld in der Tasche. Sittig rät zu sofortigem Widerspruch, wenn unklar ist, ob im Bescheid alles stimmt

taz: Herr Sittig, Finanztest wollte wissen, wie Arbeitslose die Umsetzung von Hartz IV in den ersten neun Monaten erlebt haben. Was ist bei Ihrer Untersuchung herausgekommen?

Michael Sittig: Bei den Geldleistungen gaben 60 Prozent an, dass sie weniger Geld im Portemonnaie haben als noch vor einem Jahr. Nur 13 Prozent haben mehr. Als Verlierer fühlen sich vor allem Paare mit und ohne Kinder. Zudem gaben 45 Prozent der Befragten an, dass sie auf die Bearbeitung mehr als vier Wochen warten mussten.

Warum diese langen Wartezeiten?

Das hängt mit der Umstrukturierung der Arbeitsagenturen am Jahresanfang zusammen. Für eine Leistung, die fürs tägliche Leben gebraucht wird, ist das natürlich eine Erklärung, die den Betroffenen wenig hilft.

Fordern und fördern, lautete das Motto von Hartz IV. Wie sieht es mit dem Fördern aus?

Was die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt betrifft, fühlen sich viele gefordert und gefordert. Nur 18 Prozent der Befragten bekamen eine Hilfe wie etwa eine PC-Schulung oder einen Sprachkurs angeboten. Und von den wenigen Angeboten war der größte Teil der ungeliebte 1-Euro-Job.

Was zählt, ist das Resultat: Läuft die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt mit Hartz IV denn nun besser?

Zumindest konnten wir das nicht feststellen. Gerade einmal 7 Prozent der Leute, die wieder Arbeit haben, gaben an, dass sie ihre Arbeit mithilfe der Bundesagentur fanden. Die große Mehrheit fand ihren Job durch Eigeninitiative.

Bei der Bestimmung der Mietobergrenze oder bei der Anrechnung von Vermögen und Einkommen eines Partners gibt es sehr unterschiedliche Auslegungen. Wenigstens da müsste es doch langsam einheitliche Richtwerte geben.

Das Gesetz ist an vielen Stellen sehr allgemein gehalten. Es steht nirgends, was „angemessene“ Mietkosten sind und was nicht. Das führt zu Rechtsunsicherheit. Und so besteht die Gefahr, dass jedes Jobcenter eine eigene Rechtsauffassung hat.

Und wie kann ich mich gegen diese Behördenwillkür wehren?

Wenn man das Gefühl hat, im Bescheid stimmt was nicht, dann ist das erste Rechtsmittel der Widerspruch. Der ist kostenlos. Man muss auch keine komplizierten Formalien einhalten, sondern ihn innerhalb von vier Wochen nach Erhalt erheben.

Kostenlose Musterformulare gibt es auf unserer Website. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die Widersprüche durchaus Erfolg bringen. Ein Drittel derjenigen, die erfolgreich Widerspruch einlegten, hatte danach im Schnitt 127 Euro mehr in der Tasche.

INTERVIEW: FELIX LEE