: Der Schmetterlingseffekt
KulturarbeitIm Collegium Hungaricum arbeitet man in diesem Jahr ganz unter dem Motto „Total Chaos“. Übungen dazu mit möglicherweise gesellschaftsverändernden Anstößen gibt es beim „Montag Modus“
von Uta Schleiermacher
Es ist ein Teil der Chaostheorie, dass eine kaum wahrnehmbare Abweichung im Kleinen unvorhersehbare große Veränderungen im Großen nach sich ziehen kann. Bekannt geworden ist diese Theorie als sogenannter Schmetterlingseffekt. Minimale Bewegungen können ein System auf unvorhersehbare Weise beeinflussen, vollständig umkrempeln und langfristig verändern.
Wenn das Collegium Hungaricum Berlin (CHB) nun sein ganzes Jahresprogramm und seine „Montag Modus“-Performance-Reihe unter das Motto „Total Chaos“ stellt, möchte man in Anlehnung an diese Idee also fragen: Kann der Wimpernschlag einer Performance-Künstlerin in Berlin der Auslöser sein für einen Wirbelsturm in Budapest? Oder gar für politische Veränderungen?
„Es geht um Auslöser und um die Konsequenzen“, erklärt Kata Krasznahorkai, Mitarbeiterin am CHB. Sie hat die Performance-Reihe an dem ungarischen Kulturinstitut etabliert und stellt das Programm zusammen. Gesellschaftliche Prozesse seien unvorhersehbar und nicht organisiert, heißt es in der Ankündigung. „Chaos wird zum Teil unser jetzigen und zukünftigen Identität“, schreiben die Veranstalter. Und bieten damit bieten ein thematisches Dach, unter dem sich eigentlich fast alles versammeln kann.
Das Kulturprogramm im Haus steht immer unter einem Motto, vergangenes Jahr war es „Berlin Dream“. Doch mit dem Traum von Berlin war es wohl nicht so einfach. „Vor allem die Performer haben das Motto als sehr einschränkend empfunden“, sagt Krasznahorkai. „Wir haben es deshalb für dieses Jahr größer gefasst, um viele zu ermutigen, sich zu bewerben.“
Mit „Total Chaos“ meinen die Veranstalter, einen gesellschaftspolitisch relevanten Begriff gefunden zu haben, um sich mit derzeitigen Umbrüchen auseinanderzusetzen. Sie wollen damit der Unsicherheit auf die Spur kommen, die sich durch Digitalisierung, Einwanderung, Krieg oder Klimawandel in der heutigen Gesellschaft niederschlage.
Der Budapester Szene soll die Reihe eine Möglichkeit bieten, sich im Berliner Raum zu präsentieren. „Außerdem wollen wir hier lebende ungarische Künstler in Berlin sichtbar machen“, sagt Krasznahorkai. Denn auch wenn sie teilweise schon seit Jahren in der Stadt leben würden, fänden diese Künstler kaum Orte, wo sie sich präsentieren könnten. Unter anderem auch, weil es hier wenige Spielstätten gäbe, die sich gut für Performances eignen. „Wir haben da eine weiße Fläche in Berlin besetzt“, meint sie. Auf die Idee zur Performance-Reihe haben sie die Gegebenheiten im Haus an der Dorotheenstraße gebracht. „Wir haben sehr große Fenster zur Straße, daher ist das Haus nicht so gut für Ausstellungen geeignet, wegen der fehlenden Flächen und der Lichtverhältnisse.“ Für Performences passe das umso besser, denn die lassen sich dort über drei Etagen inszenieren.
Das CHB ist auch deshalb ein Anziehungspunkt für ungarische Künstler, weil es in ihrer Heimat außerhalb der staatlichen Spielstätten kaum Fördermöglichkeiten gibt. „Viele landen daher in Berlin, und wir versuchen dann, sie hier aufzufangen“, sagt Krasznahorkai. „Aber die Reihe zeigt natürlich nicht nur ungarische Künstler, das wäre nicht interessant.“
Am Montag, 15. Februar, findet im Collegium Hungaricum Berlin (CHB) die erste Ausgabe der „Montag Modus“-Performance-Reihe in diesem Jahr statt, mit drei jeweils halbstündigen Performances. Achim Lengerer setzt sich dabei in einer Lecture Performance mit der Wirkkraft von Wörtern und Texten auseinander, Ioana Popovici will in einer Performance-Aktion die Rolle der Autoritäten reflektieren, und BBB Johannes Deimling untersucht die Identität des Menschen in Zeiten des totalen Bilderchaos.
Die „Montag Modus“-Reihe steht – wie das gesamte Programm des CHB – in diesem Jahr unter dem Motto „Total Chaos“. Die Veranstaltung im CHB in der Dorotheenstraße 12 beginnt um 20 Uhr, der Eintritt ist frei.
Schließlich geht es auch um Austausch. Zahlreiche ZuschauerInnen kämen vom HTZ, dem Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz in Wedding, in dem sich unter anderem die Universität der Künste und die Schauspielschule Ernst Busch zusammengeschlossen haben. „Das Publikum ist jung und international“, sagt Krasznahorkai. „Die Besucherinnen und Besucher interessieren sich für das neue Format, das wir anbieten, oder wollen sich die Spielstätte ansehen, und wie wir das umsetzen.“
Das Collegium Hungaricum wird durch den ungarischen Staat gefördert. Im vergangenen Jahr setzte das CHB dabei mit „Approximations“ auch das Programm eines homosexuellen Paars um, das miteinander lebt und arbeitet. Und Viktor Szeri, ein Tänzer aus Budapest, bezog sich in seiner „Montag Modus“-Performance im Dezember explizit auf seine Rolle als homosexueller Mann. Wobei sich die Lage von Homosexuellen in Ungarn, seitdem dort die rechtskonservative Regierung von Viktor Orbán das Sagen hat, bestimmt nicht verbessert hat. LTGB-Aktivisten beklagen vermehrt Diskriminierungen im Alltag und Arbeitsleben.
„Da das CHB letztes Jahr keinen Direktor hatte, haben wir fast in einem rechtsfreien Raum agiert“, sagt Krasznahorkai, in diesem Jahr könnten sie ihre Arbeit einfach fortsetzen. Im Juni kam Gábor Kopek als neuer Direktor ans CHB. Er war zuvor Rektor der Moholy-Nagy-Universität für Kunst und Design in Budapest. „Von politischer Seite gibt es keine Einflussnahme auf unsere Arbeit“, sagt sein Stellvertreter, Georg Demjén.
Wenn das CHB auch in diesem Jahr explizit homosexuelle KünstlerInnen fördert, löste das dann vielleicht tatsächlich einen Luftzug aus, der das Zeug hat, das politische Klima in Ungarn durchzupusten?
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