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Archiv-Artikel

Obamas Krieg

USA Die Ankündigung des US-Präsidenten, die Truppen in Afghanistan aufzustocken, war erwartbar. Überraschend hingegen ist die Festlegung auf einen Rückzugstermin. Seine Strategie baut auf drei Elementen

Der Irakkrieg war für Obama der falsche Krieg. Der Afghanistankrieg aber der notwendige

VON ERIC CHAUVISTRÉ

Der Irakkrieg war für Barack Obama unnötig, falsch, der Afghanistankrieg aber notwendig. Schon im Wahlkampf trat Obama deshalb mit der Forderung nach mehr Soldaten für Afghanistan an. Bald nach seinem Amtsantritt im Januar dieses Jahres stockte er das US-Kontingent auf. Doch vor dem ganz großen Schritt schreckte der neue Präsident zurück.

Bei seiner Rede an der Militärakademie West Point gab Obama nicht den unbeirrbaren Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte, sondern erklärte sein langes Zögern, das ihm konservative Kritiker als Schwäche auslegten: „Ich treffe diese Entscheidung nicht leichten Herzens“, so Obama wohl auch als Reverenz an viele seiner Unterstützer, die gegen eine Aufstockung eintreten. „Ich war gegen den Irakkrieg, weil ich glaube, dass wir Zurückhaltung üben müssen beim Einsatz unserer militärischen Stärke.“ Auch seine Mahnung, die USA dürfe „die Kosten dieser Kriege nicht ignorieren“, mag an die Kritiker in der eigenen Partei gerichtet gewesen sein, die vor den Mehrbelastungen in Höhe von 30 Milliarden Dollar pro Jahr gewarnt hatten.

Dann machte der Präsident die Zahl offiziell, die seit Wochen in den US-Medien kursierte: „Die 30.000 zusätzlichen Soldaten, die ich heute ankündige, werden 2010 stationiert – dem schnellstmöglichen Zeitpunkt –, damit sie die Aufständischen bekämpfen und die wichtigsten Bevölkerungszentren schützen können.“

Das ist das erste Element der neuen Strategie. Der Präsident folgt damit weitgehend der Forderung des US-Kommandeurs in Afghanistan, der schon seit Monaten eine Aufstockung um 40.000 gefordert hatte.

Nach der Entsendung von mehr Bodentruppen sollen die „Opposing Militant Forces“, wie die Taliban und andere Aufständische im US-Militärjagon heißen, nicht mehr aus der Luft, sondern am Boden bekämpft werden. Der Rest der Bevölkerung soll dadurch besser geschützt und den Aufständischen die Unterstützung entzogen werden, statt wie bislang möglichst viele von ihnen zu töten.

Erstaunliche Festlegung

Für wie riskant der Präsident die angekündigte Aufstockung und Eskalation selbst betrachtet, machte er mit dem zweiten Element seiner Strategie deutlich. Und zumindest die Klarheit, mit der er dies vortrug, war eine Überraschung. „Nach 18 Monaten werden unsere Truppen damit beginnen, nach Hause zu kommen.“

Im „Juli 2011“, darauf legt sich der Präsident auch an anderer Stelle der Rede eindeutig fest, soll der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan beginnen. Erstaunlich ist dies vor allem deshalb, weil innerhalb der Nato eigentlich das Dogma gilt, bloß nicht über konkrete Abzugstermine zu sprechen. Diese bringe nur dem Gegner Vorteile.

Wenn Ende 2011 der Vorwahlkampf beginnt, will Obama mit dem Rückzug schon begonnen haben

Der Zeitpunkt hätte sich auch errechnen lassen. Wenn Ende 2011 der Vorwahlkampf für die Präsidentschaftswahl im November 2012 beginnt, will Obama mit dem Rückzug schon begonnen haben. Der Termin für ein Ende der US-Intervention bleibt offen.

Den Weg dahin soll das dritte Element der Strategie bringen: die Ausbildung und Ausrüstung einer afghanischen Armee. Vorbild soll der schrittweise Rückzug aus Irak sein. Dort suchten sich die US-Militärs Verbündete unter den Milizen und integrierten sie teilweise in die irakische Armee. In Afghanistan könnten dann am Ende gestärkte Warlords stehen, die im Zweifelsfall den Bürgerkrieg gegen die Taliban weiterführen, während sich die US-Militärs im Hintergrund halten. Sie würden dann nur noch mit Einsätzen von Spezialkräften und durch Luftangriffe in den wieder von Afghanen geführten Krieg eingreifen.

Das klingt vertraut. Als die USA vor fast genau acht Jahren damit begannen, die in Afghanistan herrschenden Taliban militärisch zu stürzen – der US-Verteidigungsminister hieß Donald Rumsfeld –, griffen die USA bereits auf diese Art der Kriegsführung per Outsourcing zurück. Die US-Streitkräfte agierten in der Hauptsache aus der Luft. Nur kleinere Spezialeinheiten waren am Boden aktiv. Den Großteil der Kämpfer stellte nicht das US-Militär, sondern die unter dem Label Nordallianz gegen die Taliban verbündeten Warlords. Der schnelle Erfolg schien Rumsfeld recht zu geben, die Taliban waren innerhalb eines Monats aus Kabul verschwunden. Doch acht Jahre später stehen die USA immer noch im Krieg.

Eine andere historische Assoziation bringt Obama selbst ein: Mit Vietnam könne man den Afghanistankrieg nicht vergleichen. Damals habe es nicht die Legitimierung durch eine so große Allianz gegeben. Und „anders als in Vietnam stehen wir keiner breiteren Volkserhebung gegenüber“. Und doch erinnert seine Strategie an die Worte eines anderen US-Präsidenten. „Unsere Antwort wird zunächst begrenzt und angepasst sein. Wir Amerikaner kennen das Risiko der Ausbreitung eines Konflikts, auch wenn andere dies vergessen“, sagte Lyndon B. Johnson 1964. „Wir wollen keine Ausweitung des Krieges.“ Der Vietnamkrieg hatte damit erst richtig begonnen.