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Fest, aber entspannt

Grips-Theater Kirsten Fuchs’ „Tag Hicks“: tolles Stück, schön inszeniert

Es gibt im aktuellen Kindertheater einen Richtungsstreit, der weniger mit Inhalten als mit Formen zu tun hat. Am GripsTheater, Synonym für emanzipatorisches „Mutmachtheater“, war jahrzehntelang eine Art satirischer Realismus Praxis. Unter dem aktuellen Leiter Stefan Fischer-Fels wurde es experimenteller, das war nicht jedermanns Sache. Auf Betreiben des Grips-Gründers und Geschäftsführers Volker Ludwig wird im Sommer wieder gewechselt, ab dann bestimmt Philipp Harpain, derzeit Theaterpädadoge, die künstlerische Linie.

Schon deshalb ist das am Wochenende uraufgeführte Kinderstück „Tag Hicks oder Fliegen für vier“ interessant, weil Regisseurin Grete Pagan auslotet, was man Zehnjährigen inszenatorisch so zumuten kann, etwa den weitgehenden Verzicht auf ein Bühnenbild. Das Ensemble ist vom Publikum umgeben, so wie in den frühen Jahren am Hansaplatz. Zum Ausgleich bespielt es jeden Gang und jeden Winkel des Raums. „Hicks” erzählt einen Tag im Leben des 12-jährigen Lewin Hickelmann, der schlecht anfängt, weil am Morgen der Vater leicht bekleidet aus dem Bad schlurft – dabei wohnt der seit Ewigkeiten woanders, und das fand Hicks ganz okay. Denn er sitzt sehr gern mit seiner Mutter auf dem Sofa, und “wenn mein Vater da auch sitzen würde, in der Mitte wahrscheinlich, müssten wir die Füße runtermachen“.

Eine der Figuren wird im Wechsel von allen dargestellt, es wird hin und her gesprungen zwischen Dialogen, inneren Monologen, rezitierten SMS-Korrespondenzen und immer, wenn ihre Figuren mal pausieren, erschaffen die SchauspielerInnen einen rastlosen Soundtrack mit Percussion, E-Bass und Geige.

Das kommt gut an. Trotz der YouTube-Sozialisierung heutiger GrundschülerInnen oder deswegen? In jedem Fall auch dank des Talents der Autorin, auch wenn es ihr erstes Theaterstück ist. Kirsten Fuchs, Berliner Lesebühnen- und Romanautorin („Mädchenmeute“), hat mit „Tag Hicks“ ein dramatisches Debüt vorgelegt, das sich mit seinem Wortwitz und seinem kunstvoll alltäglichen Plot perfekt in die Grips-Welt einfügt. Kein Wunder, dass sie damit den von Grips und Gasag ausgelobten Berliner Kindertheaterpreis 2015 gewonnen hat.

Zur drohenden Rückkehr des Erzeugers addieren sich Probleme, die mit Hicks’ Freund Janis, der Einzelgängerin Flieger-Rike und mit Valerie zu tun haben, die komisch riecht. Es geht um nervige Erwachsene, um Außenseitertum, Konkurrenz und um das Gummiband der Freundschaft, das „am besten entspannt“ sein soll, „schön fest, aber entspannt“. Genau so steht es in Hicks’ Aufsatz, den er Janis überlässt, weil er es mit seinen Noten eh nicht aufs „Gymi”“schafft (sagt Janis). All das mitreißend gespielt von Menschen zwischen Mitte 20 und Mitte 50, was nicht besonders auffällt. Claudius Prößer

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