LeserInnenbriefe
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Augen-zu-Rhetorik

betr.: „Ein Kontingent ist besser als nichts“, taz vom 29. 1. 16

Es gab und es gibt sie immer noch: Menschen, die für ihre Überzeugung eintreten, unabhängig davon, woher der Wind weht.

Wenn jetzt die in den Niederlanden regierenden Sozialdemokraten fordern, man solle die gerade in Griechenland angekommenen und geretteten Menschen, die nicht selten aus dem Wasser gezogen werden mussten, unmittelbar auf Fähren zurück in die Türkei schicken, kann man dafür vielleicht ein paar gute Argumente finden. Man möge sie nur sagen, nicht aber behaupten, die Schlacht sei ohnehin verloren, 60 Millionen Menschen, das heißt alle Flüchtlinge dieser Welt, drängten jetzt nach Europa, wo sie fast nirgends mehr willkommen seien, und ja, eben, bei uns bald auch nicht mehr. Deshalb nur zurück mit denjenigen, die nun mal Pech im Leben haben!

Lukas Wallraff gibt zu, dass ein Kontingent von 250.000 Flüchtlingen für Europa viel zu wenig ist, dass es Willkür sein wird, mit der man diese Flüchtlinge aus dem Heer der Unglücklichen wird aussuchen müssen. Aber immerhin, dann könnten wir auswählen: Familien statt junger Männer, vielleicht auch Gebildete statt Analphabeten, Gesunde statt kranke Menschen? Was die jungen Männer betrifft, die gerade als neues Feindbild Karriere machen: Nicht selten fliehen sie, weil sie sich dem Kriegsdienst, für welche Bürgerkriegsseite auch immer, verweigern.

Von Erdoğan, der die Kosten für seine vermeintlich humanitäre Flüchtlingspolitik im Westen und für den von ihm angezettelten Krieg gegen die Kurden im Osten seines Landes immer weiter in die Höhe schrauben wird, ist bei Wallraffs Augen-zu-Rhetorik auch nichts zu lesen. Was bleibt von unserer Demokratie, was bleibt von unserem Grundgesetz, was bleibt von Artikel 16 und von Artikel 1 übrig, wenn sich alle Parteien hinter einer von Meinungsforschern behaupteten Mehrheitsposition versammeln und diese vermeintliche Mehrheitsmeinung als das zentrale Argument herhalten muss, um Menschen in Not den Schutz zu verweigern? GUDULA FRIELING, Dortmund

Wo bleiben Sondersendungen?

betr.: „Rechte Szene. Immer gewalttätiger“, taz vom 28. 1. 16

Das darf doch wohl nicht wahr sein! Seit vier Wochen vergeht kein Abend, an dem nicht in irgendeiner Sondersendung, einem Brennpunkt oder einer Talkshow in den verschiedensten Spielarten das Thema „Flüchtlinge als Gefahr“ durchgenudelt wird. Ich kann es wirklich nicht mehr ertragen.

Hemmungslos werden Ängste geschürt, die bezüglich anderer Entwicklungen viel berechtigter wären. Aktuell ist der Presse zu entnehmen, dass sich allein in Nordrhein-Westfalen die Zahl der fremdenfeindlichen Übergriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte verachtfacht hat und sich rechte Gewalt zunehmend auch gegen Abgeordnete richtet. Dabei handelt es sich bei den rechtsextremen Taten nicht etwa nur um Pöbeleien, Schmierereien und Beschimpfungen, sondern auch um Hassparolen, volksverhetzende Verunglimpfungen, Gewaltandrohungen und Aufruf zu Gewalttaten im Netz bis hin zu Körperverletzungen, vielfacher gefährlicher Brandstiftung und Schüssen auf eine Flüchtlingsunterkunft. Es geht also durchaus um Taten, bei denen der Tod von Menschen zumindest billigend in Kauf genommen wird.

Jeden Montag ist der Albertplatz in Dresden ein rechtsfreier Raum, in dem unsere Demokratie infrage gestellt, gelogen, gedroht und menschenverachtende, rassistische Hetze verbreitet werden darf, wo Pressevertreter angegriffen und an ihrer freien Berichterstattung gehindert werden. Für Andersdenkende oder gar Menschen mit dunkler Hautfarbe ist der Dresdener Albertplatz montags schon lange eine No-go-Zone.

Wo bleiben angesichts dieser Entwicklungen die Sondersendungen, Brennpunkte und Talkshows mit Titeln wie „Wer schützt uns vor den rechten Hetzern?“, „Wie viel Rassismus ist tolerabel?“, „Ist die Würde aller Menschen noch unantastbar?“, „Hat der Staat vor den Rassisten kapituliert?“, „Die erstarkende Rechte – wie groß ist die Gefahr für Deutschland?“ Stattdessen wird weiter allabendlich die vermeintliche Bedrohung durch Flüchtlinge heraufbeschworen. Dabei sollten doch gerade wir Deutschen spätestens seit 1945 verstanden haben, welche Menschen und Ideologien für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft tatsächlich die größte Gefahr darstellen. JOSIE BOCKHOLT, Aachen

Rechte Terrorakte verniedlicht

betr.: „Erster Anschlag mit Sprengstoff auf Asylheim“,taz vom 30. 1. 16

Nachdem ich diesen kurzen Bericht gelesen habe und ich mich daran erinnerte, wie viele Anschläge es mittlerweile auf Migranten, Asylunterkünfte, kritische Journalisten und auch auf Einrichtungen und Angehörige der Linken gab, ganz zu schweigen von den NSU-Morden, stellt sich mir die Frage, wann endlich registrieren und benennen Politiker und Strafverfolgungsbehörden, dass diese Taten in Wirklichkeit Terrorakte sind. Sind nicht Brandanschläge auf Unterkünfte genau so extrem wie dieser Handgranatenanschlag. Oder sind Serienmorde und Körperverletzungen keine Akte von Terror, vornehmlich ausgehend von der rechten Szene?

Da werden kriminelle Handlungen von Menschen mit Migra­tions­hintergrund benutzt, die Flüchtlingsproblematik anzuheizen, rechte Terrorakte aber verniedlicht, nicht entsprechend verfolgt, anscheinend weil Deutschland jetzt öffentlich nach rechts rückt. ALBERT WAGNER, Bochum