BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN : Die Suche nach der Zugehörigkeit
Was früher ganz einfach war, ist heute ganz schwer: Womit kann ich mich identifizieren?
Womit identifiziere ich mich, wozu fühle ich mich gehörig? Schwere Frage. Im Osten war das ganz einfach. Dort wurde man nicht wirklich gefragt, ob man einer Massenorganisation beitreten und diesen Gruppenzwang mitmachen will. Es ging nicht um Zugehörigkeit aus freien Stücken oder voller Überzeugung. Es ging darum, dass man dabei zu sein hat, weil alle dabei sind und Ruhe war.
Kaum war die Nabelschnur vernarbt, war man Jungpionier und trug ein blaues Tuch um den Hals. In der Phase der Selbstfindung, in der man mehr mit Pickeln und Jungs beschäftigt war, wurde man in die Deutsch-Sowjetische Freundschaft gesteckt. Als man halbwegs eigenständig denken konnte, merkte man, dass Widerstand relativ zwecklos war, und gehörte auch schon dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und einem sozialistischen Arbeitskollektiv an. Bei der Partei hab ich dann nicht mehr mitgemacht. Das war mir eine Nummer zu groß.
Die Wende ersparte mir das Schreiben von Austrittsgesuchen und das Rechtfertigen von Gründen. Von heute auf morgen gehörte ich ohne eigenes Zutun keiner einzigen Massenorganisation mehr an. Ich war quasi im luftleeren Raum, ganz allein auf mich gestellt. Mit Begeisterung und aus Überzeugung stand ich jahrelang am Rande der Gesellschaft und betrachtete das Treiben aus der Ferne.
Bis ich dachte, ich sollte vielleicht doch mal einen Schritt wagen und mich irgendwo anschließen. Die große Frage war nur, was, zumal Hausratsversicherung oder Gruppenversicherung zur Altersversorgung bei einer Rentenanstalt nicht wirklich zählen. Damit keiner sagen kann, ich hätte es nicht wenigstens versucht, wurde ich Mitglied bei einem Frauenfitnessstudio und wagte mich in einen Gruppenkurs mit der Abkürzung PZG, Problemzonengymnastik.
Die Vorturntrulla trug so ein kleines Mikrofon vorm Mund und die anderen Trullas tanzten mit ihren Problemen problemlos nach ihrer Pfeife. Ich verließ nach wenigen Minuten den Saal. Ich wollte wirklich Fett verbrennen, ich schwör’s, aber ich kam mit dem Gruppenzwang nicht klar. Schrie die Frau „Arme nach rechts!“, gingen meine Gliedmaßen automatisch nach links. Es war eine Verweigerung, die ganz tief aus dem Knochenmark zu kommen schien. Ich konnte nichts dagegen tun.
Auch die Ruder,- Rad- und Muskelmaschinen, an denen ich mich später allein vergnügte, verschafften mir kein kollektives Sportgefühl. Selbst die Flucht unter die Dusche half nicht bei der Suche nach Zugehörigkeit. Nachdem ich mich einige Male neben der ehemaligen grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer einseifen musste, kündigte ich die Mitgliedschaft.
Völlig unproblematisch gestaltet sich nur eine Zugehörigkeit, die ich danach eingegangen bin: die bei Payback. Das ist das, wo einen die Verkäuferinnen im Kaufhaus immer fragen „Haben Sie eine Kundenkarte?“, man pflichtgemäß mit „Ja“ antwortet, seine Karte zückt und für jeden Einkauf Punkte bekommt. Okay, das ist jetzt kein Verein, der meine Interessen oder die anderer Benachteiligter vertritt. Aber die Mitgliedschaft ist umsonst – und sie lohnt sich!
So kam ich kürzlich zu einer wirklich günstigen Salatschleuder, einem Küchenutensil, das ich dringend brauchte. Es ist eine schöne Chromschleuder im Wert von 2.400 Punkten, die im Laden stattliche 39,90 Euro kostet. Weil ich nicht alle meine Punkte verschleudern wollte, erst recht nicht für eine Salatschleuder, hab ich sie für 1.500 Punkte genommen und den Rest, 9 Euro, draufgezahlt. Ich muss sagen, ich bin sehr zufrieden. Die Salatschleuder ist schön schlicht und hat am Deckel einen praktischen Faden. Wenn ich an dem ziehe, dreht sich der Salat, bis ihn kein Wassertropfen mehr benetzt.
Warum ich mich wegen einer Salatschleuder mit meinen persönlichen Daten so einer Punktesammelklitsche ausliefere? Ganz einfach: Es geht um viel mehr als um trocken geschleudertes Grünzeug.
Es geht darum, dass ich mich mit der Salatschleuder identifizieren kann! Weil ich es bin, die die Fäden in der Hand hält.
Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Sammeln Sie Punkte? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE