„Berlin braucht einen Ort, der an David Bowie erinnert“

Das bleibt von der Woche Das Brandenburger Volksbegehren gegen Massentierhaltung ging erfolgreich zu Ende, in Istanbul sterben bei einem Anschlag zehn Berliner und Brandenburger, die neue Bevölkerungsprognose sagt für die Hauptstadt vier Millionen Einwohner voraus, und David Bowie ist von uns gegangen

Riesiger Erfolg für Tier und Mensch

Gegen Massentierhaltung

Sehr vielen Menschen ist nicht egal ist, wie das Fleisch im Kühlregal produziert wird

Sie haben natürlich nichts vom Erfolg des Volksbegehrens gegen Massentierhaltung, die Abertausenden Schweine, Hühner oder Puten, die gerade in Brandenburger Ställen ihre paar Monate Leben abbüßen. Bis es vielleicht zum Volksentscheid über die Forderungen des Begehrens kommt, sind sie alle tot. Aber ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger könnten irgendwann einmal davon profitieren: von kleineren Ställen, dem Verzicht auf Verstümmelung und von einer Tierschutzlobby mit ernstzunehmenden Einflussmöglichkeiten.

Deshalb sind die gut 104.000 Unterschriften, die Brandenburger BürgerInnen im vergangenen halben Jahr geleistet haben (bei 80.000 erforderlichen), ein Riesenerfolg. Sie signalisieren überdeutlich, dass es sehr vielen Menschen nicht völlig egal ist, wie das ganze Fleisch im Kühlregal produziert wird. Wobei gar nicht unwahrscheinlich ist, dass viele von ihnen selbst Kompromisse beim Fleischkonsum eingehen – nur wenige von uns sind bekanntlich perfekt, und auch wenn die meisten über die gruseligen Praktiken der Schlachthöfe Bescheid wissen, dimmen sie diese Erkenntnisse schon aus Selbstschutz meist erfolgreich aus. Aber was zählt, ist der Wille, das gesamte System in eine bessere Richtung zu drehen, und die Chance ist jetzt da.

Brandenburgs Agrarminister Jörg Vogelsänger wehrt sich immer noch gegen den Forderungskatalog. Er glaubt, dass seine Initiative schon ausreicht, die Förderung für Anlagen abzubauen, die sich nur an die gesetzlichen Mindeststandards im Tierschutz halten. Da sei man weiter als einige andere Bundesländer, sagt er. Ein schwacher Punkt. Schließlich gibt es auch Bundesländer, in denen Tierschutz- und Öko-Verbände ein Verbandsklagerecht gegen Mastbetriebe nutzen können. Warum sollte das in Brandenburg nicht möglich sein? Die Angst ist eben groß, einer einigermaßen lukrativen Branche in der strukturschwachen Mark zu schaden. Dass bis vor Kurzem der Landesbauernpräsident gleichzeitig für die regierende SPD im Landwirtschaftsausschuss saß, verdeutlicht ein wenig, welchen Stellenwert die Agrarindustrie im Land genießt.

Der Etappensieg des Volksbegehrens – im Übrigen erst das zweite erfolgreiche in diesem Bundesland – muss jetzt im Sinne der Tiere und auch der Menschen, vor allem der Anwohner von Fleischfabriken, ausgebaut werden. Die Chancen dafür stehen erfreulich gut.

Claudius PröSSer

Verhaltene und stille Trauer

Anschlag in Istanbul

Das wird besonders deutlich: Wir alle sind mit solchen Anschlägen gemeint

Am Dienstag tötete ein Selbstmordattentäter in Istanbul zehn Menschen, alles Deutsche, darunter Brandenburger und Berliner. Weitere teils schwer Verletzte liegen noch in Istanbuler Krankenhäusern. Die Reaktionen auf den Terrorakt, den die türkische Regierung dem IS zuschreibt, sind geradezu verhalten verglichen mit dem, was nach früheren IS-Attentaten zu hören und zu sehen war: Keine „Ich bin Istanbul“-Slogans vor türkischen Fahnen auf Facebook, keine Blumenberge vor Botschaften. Woran liegt das? Gewöhnen wir uns etwa an den Terror? Oder beginnen wir, etwas daraus zu lernen?

Ein hoffnungsvoller Erklärungsversuch: Der Terrorakt geschah in Istanbul, doch die Todesopfer sind alle keine TürkInnen. Die Türkei gehört zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen, Istanbul ist Berlins Partnerstadt. Nicht zuletzt sind die beiden Länder durch einen regen und langjährigen gegenseitigen Bevölkerungsaustausch verbunden. Für viele BerlinerInnen ist die türkische Metropole quasi gleich nebenan, eine zweite Heimat.

Es fällt unter diesen Umständen schwer zu entscheiden, wen man diesmal auffordern soll, sich von dem Terror zu distanzieren. Die überwiegend tür­keistämmigen deutschen Muslime? Ihr Herkunftsland war ja Ort des Attentats. Wen sollen die von ihren Redaktionen auf Berlins Straßen geschickten LokalreporterInnen diesmal befragen, wie die Gefühle nach dem Attentat sind? Die aus der Türkei eingewanderten, die deutschstämmigen BerlinerInnen?

Die Antwort ist klar und einfach. Sie lautet: alle! Denn das wird in diesem Fall besonders deutlich: Wir alle sind mit solchen Anschlägen gemeint.

Die verhaltene, stille, ja nachdenkliche Trauer nach dem jüngsten Anschlag könnte ein Hinweis auf eine gute Wendung sein. Sollte tatsächlich der IS dahinterstecken, dessen perfide Strategie, Einwanderer und Eingeborene gegeneinander aufzuhetzen, nach dem Pariser Attentat fast aufgegangen wäre, hat er sich diesmal möglicherweise verkalkuliert – und in einer Einwanderungsmetropole wie Berlin – so wäre zu hoffen – vielleicht gar das Gegenteil erreicht. Alke Wierth

Das ist dann eine andere Stadt

Vier Millionen Berliner

Wollen wir wirklich so erfolgreich sein, um an diesem Erfolg zu ersticken?

Als David Bowie dorthin entschwand, wo er immer schon mit einem Bein stand, war wieder viel vom Berlin der 70er Jahre die Rede. Die Mauerstadt, die Subkultur und, auch das, die Hauptstadt des Heroins. Dieses Berlin ging mit dem Mauerfall am 9. November 1989 zu Ende.

Nun scheint bald wieder ein Berlin zu Ende zu gehen. Es ist das Berlin, das junge Leute aus Europa anzieht, das Berlin der Kreativen, die Stadt der Freiräume und einer BVG, der – zumindest im Videoclip – alles „egal“ ist. Wenn die Einwohnerzahl in zehn Jahren tatsächlich die Viermillionenmarke reißt, stehen die Easy-Jet-Touristen vor den Clubs wie heute die Berlinbesucher am Checkpoint Charlie, die fragen, wo die Mauer ist.

Das ist das pessimistische Szenario, das einem einfällt, nachdem Bausenator Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch die neue Bevölkerungsprognose vorgestellt hat. Geisel selbst findet das rasante Wachstum dagegen super. „Berlin verändert sich, und das ist gut für die Stadt“, sagte er. „Das Bevölkerungswachstum ist eine Chance, die wir alle nutzen sollten.“

Wirklich?

Wollen wir werden wie Hamburg, wo mit dem Hinweis auf die „wachsende Stadt“ alle Bedenken vom Tisch gefegt werden, die sich gegen die Zerstörung von Freiräumen, Grünflächen, Nischen richten? Wollen wir künftig Mieten wie in London oder Paris? Wollen wir eine Metropole sein wie New York, deren Reiz für viele im Kon­trast zwischen Arm und Reich liegt? Wollen wir wirklich so erfolgreich sein, um an diesem Erfolg irgendwann zu ersticken?

Wollen wir nicht? Nur wahrscheinlich können wir es nicht verhindern. So ist das bei den großen Zäsuren im Leben einer Stadt.

Als David Bowie vor seinem Abflug in den Himmel einen Abstecher nach Berlin gemacht hat, rieb er sich verwundert die Augen und fragte: „Where are we now?“ Genauso gut hätte er die Frage an Berlin selber richten können: „Where are you now?“

In einer Viermillionenstadt wird man sich solche Fragen gar nicht mehr stellen. Jeder Blick zurück wäre schädlich und unproduktiv, denn in solchen Städten heißt es nur noch: „The show must go on!“ Uwe Rada

Stadtpatron der Gegenkultur

David Bowie ist gestorben

Berlin verliert mit Bowie eine seiner liebsten kulturellen Projektionsfiguren

Endgültig gekriegt hat David Bowie die Berliner wahrscheinlich erst Anfang 2013. Da schrieb er, bereits lange in New York lebend, den Song „Where are we now?“, eine melancholisch zurückblickende Hymne auf die Stadt – richtiger: den Teil der Stadt – in der der Künstler von 1977 bis 1979 lebte. „Had to get the train/ from Potsdamer Platz/ you never knew that/ that I could do that“, beginnt dieser Song, und beim Hören ist dieser David Bowie einem sofort wieder ganz nah – „Hey David, ging mir neulich genauso!“, möchte man ihm zurufen. Mit charmantem englischen Akzent singt er vom KaDeWe, von der West-Berliner Disco Dschungel oder von der „Bösen Brücke“, die er kreuzt. Bowie muss schon ein echter Berliner sein, denn er schaut genauso zurück auf die Stadt, wie die Bewohner auf sie blicken: Nostalgisch, was die Vergangenheit betrifft. Ungläubig und staunend, was die Gegenwart anbelangt.

Nun ist David Bowie tot, seit Montagmorgen. Blumen liegen an dem Haus in der Hauptstraße in Schöneberg, wo er einst lebte. Berlin verliert eine seiner liebsten kulturellen Projektionsfiguren. Jemanden, der wie kein anderer (diesmal stimmt diese Phrase sogar) die Versprechen und Verheißungen repräsentiert hat, die mit Berlin verbunden sind: Andere Lebens- und Liebensformen ausprobieren. Nicht stehen bleiben. Sich ein eigenes Wertesystem basteln. Anders sein eben (siehe auch Kolumne auf Seite 43).

Mit Bowie tritt der große und vielleicht einzige wirkliche Stadtpatron der Gegenkultur ab, den Berlin je hatte. Mit seiner Kunst, mit den Bezügen zur Weimarer Zeit, mit dem Mauersong „Heroes“, mit seinem Auftritt im „Christiane F.“-Film hat David Bowie kulturell das gesamte 20. Jahrhundert dieser Stadt widergespiegelt. Bowie verstand Berlin mit all seinen Paradoxa, auch wenn er in seinen Songs und Alben „Kreutzburg“ statt Kreuzberg und „Neuköln“ statt Neukölln schrieb

Bis zum Freitagmittag haben sich auf der Plattform change.org rund 9.600 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner gefunden, die für eine Umbenennung der Schöneberger Hauptstraße in David-Bowie-Straße plädieren. Es werden wohl noch einige Zehntausend dazukommen. Denn völlig klar: Berlin braucht einen Ort, der an ihn erinnert. Ob das am Ende ein Ort rund um seinen Arbeitsmittelpunkt – den Hansa-Studios in Kreuzberg – oder an seinem Lebensmittelpunkt in Schöneberg ist, ist dabei natürlich ziemlich egal.

Wichtiger ist am Ende ohnehin, dass das, was David Bowie für Berlin symbolisiert hat, weiterlebt. Jens Uthoff