Kritik der Woche: Jan-Paul Koopmann über "Das Schloss": Tiefer ins Labyrinth
Da hat sich das Bremer Theater mit dem tschechischen Künstler Jaromír 99 ein echtes Multitalent unter den Nagel gerissen: In Alexander Riemenschneiders musikalischer Kafka-Adaption „Das Schloss“ steht er als Sänger auf der Bühne, seine Illustrationen zieren die Kulisse. Comic-Zeichner ist er obendrein. Und wie seit Donnerstagabend auf einer Ausstellung im Theaterfoyer zu sehen ist, hat er auch eine bemerkenswerte Kafka-Lektüre vorzuweisen.
Seine Bilder erinnern an expressionistische Holzschnitt-Experimente: Zackige Flächen in Schwarz, Weiß und einem einzigen Grauton werfen andeutungsvoll Schatten in Gesichter – und zeigen zugleich die Verschränkungen von Raum und Psyche. Im extremen Kontrast wirken Fugen im Gestein fast gleichberechtigt zu gegenständlichen Konturen. Die Täfelung eines Flurs wird zur Gitterwand eines Gefängnisses.
Auf der Bildebene des Comics verzweigt sich die Erzählung immer weiter, statt Ordnung in dieses Geschehen zu bringen, das sich doch eigentlich leicht erzählen ließe: Landvermesser K. kommt in ein Dorf und versucht vergeblich, weiter ins vermeintlich nahe Schloss zu gelangen. Der bürokratische Apparat einer abstrakten Macht unterwirft einen Geist, der möglicherweise aber auch genau das will.
Comicadaptionen von Kafka-Texten gab es übrigens schon lange bevor es schick wurde, Literatur-Klassiker ins derzeit so angesagte Medium zu übertragen. Robert Crumb hat schon Anfang der 90er-Jahre vorgeführt, wie gerade dieser extrem an Feinheiten der Schriftform feilende Autor im Comic zu sich findet: wo zwischen Bild und Text eine Spannung besteht, an der sich die Literaturwissenschaften bis heute die Zähne ausbeißen.
Und die ist auch in der Ausstellung spürbar, obwohl sie natürlich nur einen kleinen Teil der fast 150 Comic-Seiten an die Wand bringt. Großformatige Drucke zeigen vor allem die ganzseitigen Bilder des Bandes. Die auch im Buch herausragenden Einzelpaneele im Scherenschnitt-Look geben hier einen eher knappen Einblick ins handwerkliche Können von Jaromír 99. Der Narration folgen sie nur oberflächlich, aber erzählt wird im Comic ja ohnehin über das Blättern – wo Panel-Zahl und Textmenge das Tempo dirigieren.
Die in der Ausstellung gezeigten Schlaglichter unterstreichen erneut die künstlerische Vielfalt der aktuellen „Schloss“-Inszenierung. Das Gesamtpaket bringt einen erfrischenden Sicherheitsabstand zur literaturwissenschaftlichen Pedanterie, die gerade beim von Kafka unvollendeten „Schloss“ leicht den Blick auf die emotionale Tiefe des Textes verstellt.
Gegründet hat sich die Kafka-Band, die im Mittelpunkt der Theaterfassung steht, eigentlich nur, um die Vernissage einer tschechischen Comic-Ausstellung aufzupeppen. Nun schließt sich auch in Bremen der Kreis aus Musik, Comic und Drama um den hochkomplexen Roman.
Zu sehen ist die Ausstellung an allen Theaterabenden
Der Comic von Jaromír 99 und David Zane Mairowitz ist 2013 auf Deutsch beim Knesebeck Verlag erschienen
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