Berlinmusik

Sperriges und Gettoides

Sich die Seele aus dem Leib schreien und dazu wuchtige Gitarrenmusik spielen, das war in den Neunzigern mal ein großes Ding. Post-Hardcore, Emocore oder Screamo nannte man die ursprünglich aus dem Punk entwickelten Stile. Das Berliner Quartett Grow Grow, das nach einer EP und einer 10-Inch nun eine selbst betitelte Vinyl-­Single veröffentlicht, ist hörbar von dieser Zeit geprägt. Grow Grow verbinden Einflüsse von unruhigen, sperrigen, noisigen Bands wie Jesus Lizard, Shellac oder At the Drive-in mit Mosh-Hardcore – also jener etwas metalartigeren Art von Hardcore, zu der man gut wippen und zuweilen auch mal headbangen kann. Songtitel wie „Gegen Kirche, Staat und Grenzen“ mögen dabei altpunkig und simpel anmuten. Der Sound aber, basslastige und schräge Klänge, die mit wütendem, oft verzerrtem Gesang versehen werden, klingt auch heute noch frisch und verleitet zu sofortigen nervösen Zuckungen. Musik, die den Wahnsinn der Welt in Musik übersetzt.

Von Grow Grow nun zu Jemek Jemowit überzuleiten ist nicht so einfach. Vielleicht so: Der Berlin Exilpole Jemowit ist ebenfalls in Popkultur gegossener Wahnsinn. Wer im vergangenen Jahr Acts wie Romano spannend fand, der könnte auch an diesem in der Gropiusstadt aufgewachsenen Freak seine Freude haben. Jemowik, meist in extrem geschmacklose 80er Trainingsjacken gehüllt, glänzt auf seinem jüngst erschienenen Album „Jemek Jemowit is Doktor Dres“ ebenfalls mit Street Credibility. Den Videotrack zum ersten Song, „Dreskoteka“, hat er etwa im polnischen Gdynia in tiefster Getto-Umgebung aufgenommen. Während er da White-Trash-mäßig mit Familie durch die Straßen zieht, erklingt ein formidabler Auto-Scooter-Soundtrack mit 90er-mäßigen Beats und neodadaistisch anmutenden Texten. Die Lyrics erweisen sich in etwa genauso geschmacklos wie die quietschbunten Ballonseide-Trainingsjacken. Eine Kostprobe aus „Das ist Jemek (der Hit)“: „Sei nicht so gerissen/ warum bist du so beschissen/ geh mal in die Uni/ ich spar mir den Hunni/ und kauf mir was bei Easyjet/ ich kauf mir gleich das Internet/ ich sitze unter Palmen/ Du kannst davon nur träumen/ jetzt wird’s noch bunter/ ich hol mir einen runter.“ Den Mann wird man sich merken müssen.

Jens Uthoff

Jemek Jemowit: Jemek Jemowit is Doktor Dres (Martin Hossbach Records) | live: 22. 1., 21 Uhr, West Germany

Grow Grow: s/t, Vinyl-7“, Info: growgrow.bandcamp.com, live: Schokoladen, 16. 1.