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Aszendent Drecksau

Erwartungen Ein Trost ist sicher, das sind die Katzenbaby-Kalender 2016. Ansonsten werden der unbedingte Erhalt sowie die Schaffung neuer Machtstrukturen weiterhin Priorität haben vor Pussy-Werten wie Güte

von Uli Hannemann

Wie soll man in nur wenigen Zeilen den Schmutz eines ganzen Jahres wegkehren? Einen derart gründlichen Besen können Worte gar nicht führen. Daher blicken wir lieber nach vorn. Um die Analyse vom Kleinen zum Großen hin zu entwickeln: Was erwarte ich 2016 für Berlin, für Deutschland , die Welt, das All und für mich selbst?

Gleich mal vorweg: Wir sollten besser nicht zu viel erwarten. Gerade in Berlin nicht, einer sensiblen Stadt, deren mürbe Nerven der Konfrontation mit überhöhten Ansprüchen oft nicht standhalten. Groß wird die Überraschung sein, dass der Zustrom Geflüchteter mit dem Januar nicht abreißt. Wozu hat man jahrelang sämtliche Kriegsregionen und -parteien mit Waffen und Munition versorgt? Da müssten jetzt doch langsam wirklich alle tot sein. Vor dem Lageso macht sich bass Erstaunen breit: Damit konnte nun beim besten Willen keiner rechnen.

Dasselbe gilt auch für Deutschland, Europa und den Rest der Welt: Das kommende Jahr wird ausgesprochen scheiße, was sich im Schweinsgalopp zusammenfassen lässt. Alles wird immer unerträglicher, das Klima, die Menschenrechte, die Armut, alles. Und auch der Grund dafür bleibt so simpel wie in jedem Jahr.

Denn 2016 wird ebenso wie die vergangenen drei bis zehn Jahrtausende komplett im Sternzeichen des Arschlochs stehen, Aszendent Drecksau. ­Andere sagen Homo sapiens dazu. Der ­unbedingte Erhalt sowie die Neuschaffung künstlicher Machtstrukturen, die sich nach innen wie nach außen richten, wird weiterhin Priorität haben vor Pussy-Werten wie Güte und Gerechtigkeit.

Entmachtung Saturn

Und, bevor wir zu den wichtigen Dingen kommen, noch ein kurzer Blick auf das Weltall. Dem Saturn wird – längst überfällig – der Planetenstatus aberkannt. War gekauft. Joseph Blatter. Mehr muss man ja wohl nicht sagen. So, darf ich jetzt endlich?

Ich. Me. Moi. Yo. Kaiser, Gott und Liebling der Massen. Endlich. Der Mann hat gesagt, ich soll irgendwas über Berlin und die Welt im Jahr 2016 schreiben, und wenn ich damit fertig bin, dann kann ich quasi zur Belohnung auch meine eigenen Erwartungen thematisieren. Das tue ich ja am liebsten, damit kenne ich mich am besten aus. Erwartungen sind wie so kleine Tiere mit Hörnchen, die auf ihrer Wiese an den Zaun gewackelt kommen und schnüffeln, ob da in der Hand des Zaungastes womöglich etwas sei, wenn gar zum Naschen. Dann hat der aber gar nichts dabei, und werden die Erwartungen enttäuscht, können die Hörnchen ganz schön feste stoßen – das glaubt man gar nicht, auch weil man sich vom blütenweißen Fell der Schnuffeltiere täuschen lässt. Schubladendenken, Schwarzweißmuster, Zuordnungskonventionen, so’n Kram eben. Da kann man dann froh sein, wenn da ein Zaun ist zwischen einem und den enttäuschten Erwartungen. Der Zaun symbolisiert unsere Schutzmechanismen gegen die Enttäuschung: zum Beispiel künstlerische Entfaltung, verrückte Hobbys, Religionen oder Alkohol.

Den Hals um mehr als zehn Grad drehen zu können oder für die eigene Arbeit angemessen bezahlt zu werden sind einfältige Luxuswünsche, die einem hinterher doch bloß schwer auf die Füße fallen, „Kleine Brötchen backen“, lautet die Devise

Entsprechend empfiehlt es sich auch für den privaten Bereich, die Erwartungen nicht zu hoch zu stecken. So werde ich mich 2016 im Kaufladen immer an der längsten Kassenschlange anstellen. Dann muss ich mich nie ärgern, wenn ich als Letzter drankomme. Im Gegenteil besteht sogar die Möglichkeit einer positiven Überraschung. Außerdem nicht ungewollt ein- und vor allem abkacken, kein Offenbarungseid und vielleicht, wenn es optimal läuft, gelegentlich ein wenig Zehrgeld oder ein liebes Küsschen abgreifen.

Das muss reichen. Den Hals um mehr als zehn Grad drehen zu können oder für die eigene Arbeit angemessen bezahlt zu werden sind einfältige Luxuswünsche, die einem hinterher doch bloß schwer auf die Füße fallen. „Kleine Brötchen backen“, lautet die Devise. Sonst geht das fürchterlich schief. Wer zum Beispiel viel zu große Brötchen backen wollte, war ... okay, ich sag mal jetzt nicht Hitler, obwohl das in diesem Fall vollkommen korrekt wäre – zu große Brötchen, zu dunkle Brötchen, zu schlechte Brötchen –, aber ich soll das mit dem Hitler nicht mehr in jedem Text machen, bitte, danke, das ist ein Befehl, denn sonst muss ich wieder in das Zimmer von dem neuen Chefredakteur.

Und der kann wahnsinnig laut schreien hinter seiner gepolsterten Tür im zehnten Stock. Beim letzten Mal habe ich danach geweint. Nicht nur wegen des Gebrülls – im Spiegel auf der Toilette waren hinterher in meinem Gesicht die roten Abdrücke sämtlicher zehn Cheffinger deutlich zu erkennen. Ein echtes Tier. Der Schmerz brannte auf meiner Haut, die Scham, aber auch ein wenig Wut in meiner Seele. Ich hatte doch schließlich recht gehabt: Hitler war kein guter Mensch gewesen. Darf man denn heutzutage nicht mal mehr die Wahrheit schreiben? Lügenpresse.

Ich wischte mir die Tränen aus den Augen, schnäuzte in mein Taschentuch. Doch zu meinem großen Trost hielt Edeka für mich an der Kasse den Kalender „Katzenbabys 2016“ bereit. Für nur 4,99 Euro. Bei niedriger Erwartungshaltung sich gleich­zeitig öfter mal was gönnen: Fürs neue Jahr kann ich das nur empfehlen. Ich liebe euch alle.

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