: Fortbildung am Bauhaus
Ausstellung Die Alfred Ehrhardt Stiftung zeigt „Malerei, Zeichnung, Grafik Teil I“ ihres Namensgebers, der ein wichtiger Vermittler der Bauhaus-Lehre war. Gelernt hat er selbst in Dessau bei Kandinsky, Feininger und Klee
von Brigitte Werneburg
Wie Idee und Lehre des Bauhauses zu seiner Zeit weiter vermittelt wurden, etwa in die Schulen und Hochschulen, in die Kunstvereine und -verlage hinein, darüber ist wenig bekannt. Zumindest steht das Thema nicht prominent auf der Tagesordnung, wenn vom Bauhaus die Rede ist.
Eine feine, kleine Ausstellung in der Alfred Ehrhardt Stiftung in der Auguststraße gibt hier ein wenig Auskunft. Ihr Namensgeber Alfred Ehrhardt (1901–1984) ist ursprünglich als Organist, Chorleiter und Komponist ausgebildet. Sein Ehrgeiz liegt allerdings darin, als bildender Künstler (genauer gesagt als Maler) zu reüssieren. Und so arbeitet der Kirchenmusiker nach dem Abschluss seiner Ausbildung erst einmal als Lehrer für Musik, rhythmische Gymnastik und Kunst am reformpädagogischen Landerziehungsheim Bad Gandersheim.
1928 schickt der Schulgründer und -leiter Max Bondy seinen 27-jährigen Kunstpädagogen zur Fortbildung für ein Semester an das Bauhaus Dessau. Er besucht dort nicht nur den obligatorischen Vorkurs von Josef Albers, sondern lernt auch bei Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Lyonel Feininger und Paul Klee, der einen nachhaltigen Einfluss auf sein Werk hat, wie in den Arbeiten ab dem Jahr 1929 deutlich wird. Aufgrund seiner kunstpädagogischen Erfahrung wird er am Bauhaus auch als Hilfslehrer eingesetzt. Zurück im Landschulheim praktiziert er das Gelernte in der Arbeit mit seinen Schülern.
Das Experiment ist erfolgreich und bringt ihm 1930 eine Dozentenstelle an der Landeskunsthochschule Hamburg (der späteren Hochschule für bildenden Künste am Lerchenfeld) ein, wo er den ersten Vorkurs für Materialkunde außerhalb des Bauhauses leitet. 1932 systematisiert er seine Erfahrungen in dem Buch „Gestaltungslehre. Die Praxis eines zeitgemäßen Kunst- und Werkunterrichts“, das wertvollen Aufschluss über die Reformpädagogik und Kunsterziehung im 20. Jahrhundert gibt.
1933 wird er wegen seiner Nähe zum „kulturbolschewistischen“ Bauhaus von den Nazis aus dem Hochschuldienst entlassen. Ehrhardt rettet sich in eine Stellung als Kirchenmusiker in Cuxhaven und entdeckt die Fotografie und den Film als weniger belastete, immer noch experimentell nutzbare Ausdrucksmedien. Er wird nach seiner Entlassung 1933 nie wieder zu Pinsel und Zeichenstift greifen.
Das ist, wie man nun an den Wänden der Stiftung sehen kann, schade. Es hätte aus ihm, statt einem großartigen Fotografen und bedeutenden Naturfilmer, auch ein großartiger Maler werden können. Sein Talent jedenfalls wurde durchaus erkannt: Zwei Jahre vor seiner Entlassung hatte ihm der Hamburger Kunstverein 1931 eine umfassende Einzelausstellung seiner Gemälde und Zeichnungen ausgerichtet.
Die Arbeiten dieser Schau, die die Familie durch den Krieg rettete, sind nun Teil des Stiftungsvermögens. Aus etwa der Hälfte der Bilder hat Christiane Stahl, die Leiterin der Stiftung, eine zweiteilige Ausstellung konzipiert, deren erster Teil jetzt zu sehen ist. Der zweite Teil wird dann 2019, also zum 100. Geburtstag des Bauhauses, gezeigt werden. Die Aufteilung verweist schon auf die Systematik des Vorhabens. Jetzt sind vor allem die Arbeiten vor Ehrhardts Bauhaussemester zu sehen.
Dabei wird deutlich, dass er bis zu diesem Zeitpunkt vor allem das Vokabular des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit verarbeitete. Abstraktion, Konstruktivismus oder Neues Sehen waren ihm noch fremd. So setzt er sich etwa in den Bergmotiven seiner Farbholzdrucke mit Einflüssen des Kubismus auseinander und mit der expressionistischen Künstlervereinigung „Die Gläserne Kette“.
Hier wie bei den Arbeiten, die nach 1929 entstanden und bei denen die materialhafte Oberflächenbehandlung deutlich den Einfluss von Albers Vorkurs zeigt, ist mit zu bedenken, dass sie auch Unterrichtsmaterial sind, Übungen für das Seminar. Ehrhardt trägt die Farbe nun pastos auf, mischt Sand unter sie und strukturiert die Farbfläche durch mechanische Eingriffe mit dem Pinselstil oder dem Spachtel plastisch. Dabei abstrahiert er, nur so weit er die Bildfläche auf einige wesentliche Elemente reduzieren kann, die Mensch, Tier und Landschaft immer noch andeuten und in Umrissen erkennen lassen.
Immer deutlicher wird dabei, dass die Linie sein charakteristisches Stilmittel ist – besonders schön und eigenständig zu sehen bei der von der Holzplatte auf Japanpapier gedruckten Monotypie „Ohne Titel (Kopf)“ von 1929, die mit minimalistischen Mitteln, Linie, Punkt und Farbe ein Dreieck so in den Bildraum stellt, dass man unbedingt einen Kopf assoziiert. So treffend ist die Konstruktion, das man sich sofort an eine Graffiti-Aufnahme von Brassaï erinnert, in der ein Gesicht anonym genau so in die Wand geritzt wurde.
Bis 21. Februar, Alfred Ehrhardt Stiftung, Auguststraße 75, Di.–So. 11–18 Uhr, Do. 11–21 Uhr, Katalog 20 Euro
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