: Holzgewehre zu Pflugscharen
Neunziger Jahre Holocaustmahnmal, Scherze über Bin Laden, Feminismus, Dritte Welt, Fall der Mauer und Deutungsmächte in Sachen Rot-Grün – in der taz war stets alles umstritten, Tag für Tag. Langwei-lende Linientreue – unerwünscht. Erinnerungen einer Ehemaligen
VON MARIAM LAU
Wenn man Leuten im politischen Berlin erzählt, man habe mal bei der taz gearbeitet, dann lächeln sie häufig so nachsichtig – als hätte man sich bei der GSG 9 getroffen und zugegeben, früher mit einem Holzgewehr gespielt zu haben.
Aber die taz war kein Holzgewehr. Was sich damals abgespielt hat, in der Redaktion der neunziger Jahre, das war vielmehr ein Kampf um alles: Ob man nicht als Linker für den Einsatz deutscher Soldaten in Bosnien kämpfen muss. Ob sich der Ursprungsmythos der taz – dass die RAF-Häftlinge in Stammheim umgebracht wurden – noch so halten lässt. Ob man, gemeinsam mit Helmut Kohl, für den Bau eines Holocaustmahnmals sein kann. Was in der Dritten Welt und im postkolonialen Afrika wirklich los war. Die Lebenslügen des deutschen Feminismus. Die erste rot-grüne Bundesregierung und wie die taz, also die „Linke“, damit umgeht.
Ich habe in keiner anderen Redaktion so intensive Auseinandersetzungen erlebt, und inzwischen weiß ich auch, warum. Zur Leidenschaft aller Beteiligten – oft nervtötend, mit Tränen in Redaktionskonferenzen und Liebesentzug beim Mittagessen – kam das grundsätzlich Antiautoritäre. Ich habe das damals nicht so richtig zu schätzen gewusst, weil ich zu den „Rechten“ bei der taz gehörte, die einiges herumzumäkeln hatten an der antiautoritären Kinderladenbewegung und all dem.
Aber es war eben dieses Herrschaftsfreie, das die Konflikte zugleich zuspitzte und im Rahmen hielt. Einen Leitartikel musste man sich erkämpfen; niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn qua Amt für sich zu reklamieren. Wer dann einen ergattert hatte, schrieb in dem Bewusstsein, dass am nächsten Tag mit krachender Gegenwehr zu rechnen war. Das war nicht Kanzel, das war Hyde Park Corner, jedes Mal.
In der Kulturredaktion, der ich damals erst als Kinotante, dann als Ressortleiterin angehörte, hatten wir jeweils noch mal eigene Hühnchen zu rupfen. Die meisten von uns hatten Jahre an der Uni mit Foucault, Baudrillard und Lacan verbracht, hatten also das Große Simulacrum und erst mal Schwierigkeiten, den Ernst der Lage in Srebrenica überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Den Fall der Mauer hat der Politikteil der taz bravourös gemeistert und als Befreiungsbewegung gefeiert – nach heftigen Auseinandersetzungen wurden auch Adressen von Stasimitarbeitern publik gemacht.
Wir in der Kulturredaktion dagegen brauchten eine Weile, bis wir aus unserem Kreuzberger „Herr Lehmann“-Dornröschenschlaf erwachten. Wer wollte schon „Deutschland“? Dann aber wurde die Schönhauser Allee inspiziert; im Roten Salon der Volksbühne las Richard Shusterman, Kippenberger malte noch, und wo man Diedrich Diederichsen las, in Ost und West nämlich, da lass dich ruhig nieder.
Es war ein blitzend gelungener Moment; da waren einfach zufällig sechs Leute im Feuilleton zusammen, die über die selben Sachen lachten, sich über Habermas’ autoritäre Rechthaberei und Handkes Karadzic-Schwärmereien im selben Maß ärgern konnten und die Texte der anderen Kollegen mit Begeisterung verschlangen. Ob Political Correctness eine gute Sache ist oder ob es schlau ist, angesichts der Lichterketten gegen Nazipogrome in Rostock und Lichtenhagen ein „Wörterbuch des Gutmenschen“ zu schreiben – darüber gingen dann die Meinungen schon mal heftig auseinander.
Wir machten damals noch Witze über den Namen „Bin Laden“ (wie gesagt: die Neunziger). Aber die Fatwa gegen Salman Rushdie, einen unserer Helden, hat dann schnell klargemacht, dass die Sache mit der Ironie anfing, ein wenig schal zu werden.
Manche der damaligen Truppe sind im Feuilleton geblieben, andere es drängte nach den Erfahrungen mit Bosnien und Bin Laden in die Politik, aber verändert haben wir uns alle. Bei der Intensität der Konfrontation miteinander konnte kein Stein auf dem anderen bleiben.
Es gab durchaus zwei, drei Spießer in der taz, die einfach die Tür zumachten, auch innerlich. Aber sie galten als wunderliche Außenseiter. Sie gaben nie den Ton an.
Wir haben damals heimlich gedacht, in den anderen Redaktionen da draußen säßen die Erwachsenen. Die wissen schon, wo sie stehen, wie man eine Zeitung macht und dass man nicht in Tränen ausbricht, wenn die Konferenz beschließt, nicht die fünfte Reportage aus Kasachstan innerhalb von vier Wochen zu drucken. Daran stimmt fast nichts.
Helmut Schmidt jedenfalls pflegt gelegentlich zu sagen, wer nicht durch die Scheiße gegangen sei, könne in vielen Dingen überhaupt nicht mitreden. Ich kann mich dem nur anschließen.
Mariam Lau, 50, kam 1991 zur taz, war zunächst Kinoredakteurin, später Leiterin des Kulturressorts. Nach Zwischenstation bei Süddeutschen Zeitung und sieben Jahren bei der Welt arbeitet sie heute als politische Korrespondentin im Hauptstadtbüro der Zeit.
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