Jasmin Kalarickal über die Sinnigkeit guter Vorsätze fürs neue Jahr: Subversive Utopie
Vorsätze, könnte man meinen, sind unsinnig, weil sie ja in der Regel nicht umgesetzt werden. Aber in einer Zeit, die auf Effektivität, Effizienzsteigerung und Schnelligkeit ausgelegt ist, sind Vorsätze, die gebrochen werden, ein subversives Element. Vorsätze sind Entschlüsse, sich selbst zu verbessern, und sie sind meist so hoch gesteckt, dass sie nicht klappen.
Sie erinnern Menschen an ihre eigene Unvollkommenheit und sind damit ein Akt der Demut. Sie schaffen den Raum im Privaten, in dem es getrost erlaubt, vielleicht sogar erwünscht ist zu scheitern. Und auch das: Ein Mensch ohne Vorsätze ist ein Mensch ohne Utopie. Er nimmt alles so hin, wie es ist. Eine Intention, ein Vorsatz, macht, egal, was aus der tatsächlichen Handlung folgt, oft den entscheidenden Unterschied. Das ist in der Juristerei auch so.
Die Gefahr besteht darin, dass der Vorsatz an sich positiv oder negativ sein kann – je nach Perspektive. Beispielsweise könnte sich ein IS-Kämpfer ja vornehmen, im nächsten Jahr mehr Menschen zu töten, und das an eine Ideologie knüpfen. Ein Vorsatz allein reicht also nicht. Es muss ein guter Vorsatz sein, es kommt auf den Inhalt an.
Ich habe mir für das Jahr 2016 vorgenommen, mehr Dinge zu reparieren. Mir geht es dabei nicht um Konsumkritik, die auch ihre Berechtigung hätte. Es ist heute billiger, ein neues Smartphone zu kaufen, als das alte zu reparieren. Fataler ist, dass sich diese Wegwerfkultur auf unsere menschlichen Beziehungen übertragen hat. Paare trennen sich, weil sie meinen, dass ihre Beziehung kaputt ist, und kaufen sich eine neue Liebe. Ein UpDate. Egoismus verkauft sich im Gewand des Individualismus.
Im Jahr 2016 möchte ich die Liebe neu denken und werde vielleicht daran scheitern. Das ist mir egal. Denn wer seine Vorsätze aus Angst zu scheitern gleich ganz wegwirft, macht nur das, was wir ohnehin schon die ganze Zeit tun. Und vielleicht kann ich den Vorsatz am Ende des Jahres ja wieder reparieren.
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