: Erleuchtung von innen
VISIONEN Alle Herrlichkeit des Lichts, heruntergekommen zu uns hier auf Erden: James Turrells Installation „The Wolfsburg Project“
VON RONALD BERG
Seit je thronen die Götter in der Höhe, im Himmel, wo sie nachts als Sterne zu uns herabglänzen. Stars nennen wir noch immer die Unsterblichen der Kinoleinwand, jene Figuren bigger than life. Auch sie sind Lichterscheinungen, wenngleich ziemlich profan erzeugt aus dem Projektionsapparat.
James Turrell sieht tatsächlich so aus, wie man sich Gottvater persönlich vorstellt, im Typ ungefähr so, wie bei Michelangelos Sixtinischer Kapelle. Ein jovialer älterer Mann mit weißem Rauschebart, der wunderbar über seine größte Obsession plaudern kann: das Licht. Der Satz „Es werde Licht“ fällt zwar nicht, dafür schwärmt Turrell von den Farben des Himmels und vom allgegenwärtigen Licht, das wir selbst noch mit geschlossenen Augen im Dunkeln sähen. Zum Thema Energiesparlampe empfiehlt er: „Schmeißt sie weg! Sie lassen unsere Haut schlecht aussehen.“ Achtung also, denn „Light has power, didn’t you know?“
Turrell hat einige Erfahrung mit Licht. Seit Ende der 60er-Jahre macht er Lichtinstallationen. Jetzt also in einer Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg. Eine schöne Idee für die dunkle Jahreszeit, das Licht ins Museum zu bringen. Viel Licht.
Turrells Arbeit besteht aus 57.000 LEDs, ist 11 Meter hoch und nimmt auf 700 Quadratmetern fast die gesamte große Halle des Museums ein. Doch der riesige Raum im Raum ist leer, bis auf eine Rampe, von der aus man aus dem ersten Stock ins Erdgeschoss herabschwebt, um im Licht zu baden. Was Turrell mit Hilfe der Lichttechnik-Firma Zumtobel in großem Maßstab in Wolfsburg bewerkstelligt hat, nennt sich – wahrnehmungspsychologisch gesprochen – Ganzfeld Piece.
Das sich farblich langsam verändernde Licht füllt dabei das menschliche Wahrnehmungsfeld komplett aus, die hinterleuchteten Wände und der nur mit Überziehern zu betretende Boden existieren für das Auge in diesem Raum nicht mehr, alles ist Licht. Experimente der 30er- und 60er-Jahre mit dem Ganzfeld haben ergeben, dass bei Menschen schon nach wenigen Minuten Halluzinationen auftauchen. Statt äußerer Bilder überfluten innere Bilder das Bewusstsein. Was Turrell hier technisch implementiert – innere Erleuchtung könnte man sagen –, ist im Grunde ein Basismotiv vieler religiöser Praktiken, nur musste man dazu früher in die Wüste gehen, um der allerorts grassierenden Reizung, Überreizung und Ablenkung der Sinne zu entgehen.
Ob man bei Turrell allerdings wirklich von Askese sprechen kann, ist fraglich. Turrell geht es um die körperliche Erfahrung des Lichts, um „Physikalität“, wie Turrell es nennt. Licht ist aber zugleich das am häufigsten strapazierte Symbol für Wahrheit, Reinheit, Schönheit und Göttlichkeit. Turrell selbst hält sich bei der metaphysischen Bedeutung des Lichts allerdings deutlich zurück – obwohl er Quäker ist. Allerdings ist die innere Erleuchtung oder „Heimsuchung“ bei den Quäkern (alias „Children of the Light“) auch eine sehr subjektive Angelegenheit.
Turrells Obsession für Licht mag mehr mit seiner Erfahrung als Postflieger zu tun haben. In seiner Frachtmaschine über den Wüsten im Südwesten der USA hat Turrell viel von der Herrlichkeit des Lichts zwischen Himmel und Erde erleben können. Seit Jahrzehnten arbeitete er nun daran, den farbigen Himmel auf die Erde zu bringen, ein Licht auszustellen, das man „erfühlen“ kann.
So wird das Licht in der Wolfsburger Museumshalle zwar technisch erzeugt, ist aber den üblichen Light-Shows, ob Osterfeuer, Weihnachtsbeleuchtung oder den bunt angestrahlten Sehenswürdigkeiten zum Zwecke des Stadtmarketings, an Elaboriertheit deutlich überlegen. Denn Turrells Licht simuliert die Himmelsfarben. Die neueste Technik macht es möglich: Die eingesetzten LEDs mischen das Lichts aus den Grundfarben Rot, Grün und Blau mit Gelbweiß und Hellweiß. „Jede LED kann separat angesteuert werden, dies jeweils in über 65.000 Helligkeitsstufen. So sind Farbeindrücke und Farbverläufe herstellbar, die hinsichtlich der Farbintensität und Farbsättigung noch nie möglich waren“, rühmt die Firma Zumtobel ihre Apparatur.
Visionen ganz aus Licht, etwas, wovon schon die Gotik träumte, eine farbige Kunst ohne die irdene Stofflichkeit der Farbpigmente, sondern selbst leuchtende Emanationen, etwas, woran Leute wie Moholy-Nagy in den 20-Jahren des vergangenen Jahrhunderts arbeiteten, eine Kunst also ohne Referenz im Wirklichen, ohne Bezug zu irgendeinem Objekt, sondern das reine Licht – das alles ist bei Turrell nun annähernd verwirklicht. Irgendetwas Festes ist in seiner Installation nicht mehr auszumachen.
Tatsächlich ist Turrell außerhalb des klassischen Museumsraums bereits einen Schritt weiter gegangen. Am Rande der Painted Desert in Arizona hat er den Himmel selbst zum Ausstellungs- und Anschauungsobjekt gemacht. Im 150 Meter hohen Krater eines erloschenen Vulkans entsteht seit 1984 eine Art Observatorium, mit Kammern und Gängen und einer Art Himmelsleiter ausgerichtet auf die tages- und jahreszeitlichen Himmelserscheinungen. Wenn es einmal ganz vollendet ist, kann man hier das Phänomen der Himmelsfarben so eindrucksvoll wie nirgends auf diesem Planeten erleben. Der Roden Crater, das aktuell wohl größte Kunstwerk der Erde, liegt schließlich in einem Gebiet, das wegen seiner Beobachtungsbedingungen bereits mit Observatorien bestanden war. Der Himmelskörper Pluto wurde in den 30ern in der Nähe entdeckt.
Präzise in 2.000 Jahren
Statt an funktional verwandte Sternwarten zu erinnern, zieht die Wolfsburger Ausstellung aber den eher formalen Vergleich mit dem berühmten Kenotaph für Isaac Newton. Das Museum zeigt ein Modell von Etienne-Louis Boullées nie realisiertem Kugelbau von 1784, in dessen Inneren ein Sternenhimmel prangen sollte. Die Architekturvision findet sich in Wolfsburg zusammen mit Luftaufnahmen, Zeichnungen und edlen aus Bronze gefertigten Modellen des Roden Crater Project. Schließlich muss Turrell sein Bauwerk auch finanzieren. Da sich auch Himmel, Mond und Sterne in ihrer Position zur Erde verändern, ist die Anlage darauf ausgelegt, ihre größte Präzision erst in 2.000 Jahren zu erreichen. Vielleicht wird man dann Turrells Projekt ansehen wie heute die Anlage von Stonehenge.
■ Bis 5. April 2010, Kunstmuseum Wolfsburg