AfrikabilderGunnar Ardelius erzählt von schwedischen Seelenschmerzen in Liberia
: Diesseits der Trauer, jenseits des Exotismus

Über ein Land zu schreiben, in das man noch nie einen Fuß gesetzt hat, und über eine Zeit, zu der man selbst noch nicht geboren war, dafür muss man wohl ganz schön unerschrocken sein. Oder braucht es dafür etwas ganz anderes?

In der Art, wie Gunnar Ardelius, Jahrgang 1981, über eine schwedische Familie im Liberia der sechziger Jahre schreibt, lässt sich eine tiefe Vertrautheit mit dem gewählten Setting spüren; fast scheint es, als würde eine Art innerer Landschaft auf dem Papier zum Leben erweckt. Tatsächlich verarbeitet der Autor, der vorher als Verfasser von Jugendbüchern von sich reden gemacht hat, in seinem Erwachsenendebüt einen Teil Familiengeschichte. Sein Großvater war in den Sechzigern für ein schwedisches Unternehmen in Liberia, sein Vater und dessen Geschwister wuchsen dort auf.

Diesen Rahmen, und wohl auch die durch Fami­lien­erzäh­lungen verinnerlichten atmosphärischen Bilder der afrikanischen Umgebung, in der die schwedische Community lächerlich unbeeindruckt an ihren heimatlichen Ritualen (Luciafest feiern, Glühwein trinken) festhält, nimmt Ardelius als Hintergrund. Vor ihm insze­niert er das Kammerdrama einer zerfallenden Kleinfamilie, deren Mitglieder nicht zuletzt durch die politischen und gesellschaftlichen Kräfte der Zeit auseinandergetrieben werden.

In Afrika sind allerorten anti­koloniale Befreiungsbewegungen am Werk, nicht aber in Liberia, einem Staat, der als Heimstatt freigelassener amerikanischer Sklaven gegründet wurde. In der westlichen Welt erstarken vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs die linken Bewegungen, doch die angestrebte Abschaffung der Klassengesellschaft kann auch in Schweden längst nicht als vollendet gelten. In dieser Atmosphäre kommt das Ehepaar Hektor und Margret mit dem noch nicht ganz erwachsenen Sohn Mårten nach Liberia. Hektor wird Personalchef einer schwedischen Minengesellschaft, die vor Ort als eine der bedeutendsten ökonomischen Kräfte gilt.

Weltrevolution träumen

So tatkräftig er sich beruflich zeigt, so schwer trägt Hektor an einer persönlichen Last: Sein Vater hat vor einiger Zeit Selbstmord begangen. Doch er muss mit seiner Trauer allein fertigwerden, denn Margret, die nach einer gescheiterten Karriere als Pianistin nur mehr als Hausfrau unglücklich ist, hat eigene Traumata zu verarbeiten: eine heimliche Abtreibung, für die sie nach Polen fahren musste, und den Verlust eines heimlichen Geliebten.

Sohn Mårten, der von der Weltrevolution träumt, sehnt sich nach seiner in Schweden gebliebenen Freundin, passt sich aber sonst als Einziger schnell an die neue Umgebung an und befreundet sich eng mit dem einheimischen Gärtnerjungen. Als die liberianischen Arbeiter der schwedischen Mine für höhere Löhne in den Ausstand treten, ergreift der schwedische Jungrevolutionär aktiv Partei für diese und wird verhaftet.

Wenn Ardelius’ Roman nach aller Dramatik noch eine versöhnliche Schlussvolte schlägt, zeigt sich noch einmal sehr deutlich, dass seine Erzählung sozialhistorisch und psychologisch, nicht sozialkritisch angelegt ist. So darf sich denn auch der rassistisch aufgeladene Hass, den Margret stellvertretend gegen den Gärtnerjungen empfindet, angesichts von dessen Tod in reine mitfühlende Menschlichkeit auflösen.

Das dient, rein erzählerisch, vor allem der Familienwiederzusammenführung und wird eher weniger als gesellschaftliche Haltung vorgeführt. Die Klassen- sowie die Rassenfrage sind hier nur ein Thema unter anderen. Doch vielleicht gerade dadurch, dass Ardelius primär an der seelischen Entwicklung seiner Protagonisten interessiert ist, gelingt ihm gleichsam im Vorübergehen ein überraschend authentisch wirkendes Zeitporträt. Politisch wird es fast automatisch dadurch, dass es das europäische Bild von Afri­ka, einen literarisch lange Zeit wenig erschlossenen Kontinent, überhaupt in den Fokus rückt.

Doch gerade weil sich Arde­lius in seinem Roman eben nicht vordergründig „mit Afrika beschäftigt“, sondern das Liberia der Vergangenheit eher nebenbei als eine Art Metapher benutzt, als Hintergrund für ein Familienkammerspiel, zeigt sich in diesem Blick auf Afrika vielleicht eine neue kulturelle Normalität abseits jedes tradierten Exotismus.

Katharina Granzin

Gunnar Ardelius: „Die Liebe zur Freiheit ...“. Aus d. Schwedischen von Thorsten Alms. Blessing, München 2015. 256 S., 19,99 Euro