piwik no script img

Deutsche USA-Collage

KINO Roland Klicks „Derby Fever USA“ ist ein hektisches USA-Porträt zwischen Faszination, Wahn und Konsumkritik

von Thomas Groh

Beim Kentucky Derby, einem jährlich in Louisville ausgetragenen Pferderennen, kommt zumindest der folkloristische, eher weiße Teil der USA ganz zu sich. Hunderttausende zieht die Veranstaltung an, die im darum gruppierten, volksfestartigen Trubel als Kerngeschehen eigentlich schon verschwindet. Für die Stadt ist das ein willkommen geheißenes Reklame-Event, das Steuern und Industrie anlockt, sowie eine logistische Herausforderung: Der Besucheranstrom muss genauso bewältigt werden wie die Prostituierten und Kleinkriminellen, die sich in Hoffnung auf einen schnellen Dollar ebenfalls einfinden. Kurz: Ausnahmezustand, Tage außerhalb der Zeit.

Ein Fest, das aus dem Ruder gerät, verlangt nach einem ebenso aus dem Ruder geratenem Film darüber. 1978 hat ihn Roland Klick gedreht, der amerikanischste und wendigste all jener ewig wiederentdeckten BRD-Regisseure, denen es die Filmgeschichtsschreibung nie ganz verziehen hat, dass sie sich weder der Altbranche noch den Cliquen um den „Jungen Deutschen Film” eindeutig zugeordnet haben. Als Ekstatiker des Kinos hatte er sich bereits mit dem in der israelischen Wüste unter abenteuerlichen Bedingungen gedrehten Neo-Western „Deadlock” und mit dem auf dem Hamburger Kiez entstandenen Raubüberfalldrama „Supermarkt” empfohlen.

Hier nun ließ er buchstäblich alle Gäule mit sich durchgehen: „Derby Fever USA”, das verspricht Grandezza, Wahn und raumgreifende Gesten. Das Rennen als solches interessiert Klick allenfalls am Rande, vielleicht auch bloß als Anlassstifter – mit ihren kontemplativen Pferde-Impressionen bilden die entsprechenden Passagen fast schon einen Ruhepol in diesem oft wunderbar hektischen Film. Denn um einiges faszinierter zeigt sich Klick vom Brummen und Summen ringsum. „Derby Fever USA”, das ist weniger ein Dokumentarfilm über ein eher egales Sportevent (das von der Stadt freilich zum Zentrum des Weltgeschehens erklärt wird), sondern ein Porträt der USA in nuce, wie es nur einem fasziniertem Regisseur von außen glücken kann, den die USA gleichzeitig anziehen und abstoßen.

In jeder Hinsicht ist dieses Land, durch Klicks Augen gesehen, beglückend zu viel: zu viele Cops, zu viel Krawallrhetorik, zu viele schmierige Geschäftemacher, zu viel Business, zu viel Werbung, zu viel Fernsehen, vor allem: zu viel euphorischer, fröhlich entgleitender Irrsinn, wie er schon in den Banjo-Creolen, dem Count­ry-Rock, dem hedonistischen Discosound auf dem Soundtrack anklingt: ein glücksbesoffenes Land.

Roland Klick ist der amerikanischste all jener wiederentdeckter BRD-Regisseure

Weite Teile bestreitet Klick, der 1978 noch aus einer BRD kommt, die außer drei hüftsteifen TV-Kanälen nicht viel kennt, vor dem Fernseher: Die lokalen Programme überbieten sich im jede Form von businessfreudiger Rhetorik offen bejahenden Jubel. Klick hält die Kamera einfach vors Gerät, statt das Material nahtlos einzubinden: Der im Bild sichtbare Apparat wird zum rahmenden Guckkasten in eine andere Welt, das Fernsehbild flimmert, verfremdet sich farblich, wird im Film zum fasziniert beobachteten Fremdkörper.

Einen Jubelfilm hat Klick allerdings nicht gedreht. Über die Montage bildet er vielmehr lakonische Kommentare: Ein Image-Spot der Stadt wirbt eben noch mit der Pflege der historischen Bausubstanz und der hohen Lebensqualität, schon schneidet Klick auf verwahrloste, triste Gebäude in den wenig repräsentativen Armutsvierteln und unterlegt die Bilder mit dräuend-suggestivem 70s-Synthesizer-Rock, als befänden wir uns in Romeros zeitgleich entstandenem Zombieklassiker „Dawn of the Dead”, dessen deutsche Synchronisation Klick im Übrigen als Dialogregisseur betreut hat.

Höchstens noch Werner Herzog hat 1977 mit „Stroszek” einen ähnlichen Blick aus der BRD auf die USA geworfen. Beide Regisseure eint ihr ekstatischer Anarchismus, bei beiden erscheinen die USA als ein Ort ganz eigentümlicher Freiheiten. Sehr selbstverständlich blieb Herzog dort, nur Roland Klick kehrte heim, wo diesem Freigeist die Arbeit systematisch zur Hölle gemacht wurde, bis er irgendwann enerviert die Segel strich. Heute kann man Klick als Außenseiter des BRD-Kinos im Zeughaus Kino wiederentdecken (18. 12, 18.30 Uhr) – von einer materialästhetisch reizvollen 16mm-Kopie und mit einer kundigen Einführung des taz-Autors Lukas Foerster.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen