Groovy Supergroup

ROCK I Van Urst verbinden die besten Elemente von Indie, Hardcore, Krautrock, Screamo und Noise – ihr Debüt enthält mehr gute Ideen, als andere in ihrer ganzen Karriere haben. Am Freitag spielen sie im Schokoladen

Moment mal, dieses Maskenspiel kennen wir doch irgendwoher? Van Urst beim fröhlichen Gesichtertausch Foto: Van Urst

von Thomas Winkler

Gute Frage das: „How to start a song?“, bellt Thomas Kastning gleich zu Beginn. So gut ist die Frage, dass der Sänger und Gitarrist von Van Urst sie gleich achtmal wiederholt. Dann aber geht das Debütalbum der Berliner Band auch los. Beantwortet wird die Frage mit einem funky Schlagzeugbeat, der sukzessive ergänzt wird mit einem kleinen, drolligen Gitarren-Lick und einer schicken Bassline. Ja, so kann man einen Song beginnen, zweifellos.

Dass Van Urst ihr Geschäft verstehen, dass sie nicht nur wissen, wie man Songs beginnt, sondern vor allem wie man sie weiter strukturiert und in ihnen die Spannung hält, das beweisen sie auf ihrem ersten Album, das sie schlicht „Van Urst“ genannt haben. Neun Songs, in denen gern mal der Rhythmus gewechselt wird, der Drummer wirbeln darf, der Bass geschickt die Lücken ausfüllt, der Gesang allzu oft ein Sprechen, nicht selten auch ein zorniges Brüllen der überwiegend englischsprachigen Texte ist. Neun Songs, in denen vor allem mehr gute Gitarren-Ideen stecken, als manch andere Band ihre ganze Karriere lang entwickelt hat.

Man könnte es Indie-Rock nennen, was Van Urst da machen. Oder Postpunk. Vielleicht auch Hardcore-Krautrock, Screamo, Shoegaze oder Noise-Pop oder irgendeine andere tatsächlich existierende oder schnell neu erfundene Schublade, in die doch immer nur eine einzelne Facette des Van Urst’schen Klangbildes gut hineinpassen würde.

Auch strukturell lassen sich ihre Songs nicht wirklich festlegen: Einerseits wirken sie wie beiläufig hingerotzt, andererseits schlagen sie lange epische Bögen, verzichten meist auf einen klassischen Song­aufbau mit Strophen und Refrain. Dann aber entwickeln sie auch packende Melodien, die sie aber meist irgendwo verstecken – als wäre es peinlich, zu eingängig zu werden.

Nicht dass das Quintett das Rad neu erfände. Beileibe nicht. Offensichtlich haben Bands wie The Fall, Minutemen, Fugazi oder At The Drive-In Pate gestanden oder zumindest tiefe Spuren hinterlassen im Sound von Van Urst. Aber so versiert, so souverän ist hierzulande schon lange nicht mehr vermessen worden, was man mit elektrisch verstärkten Gitarren und ehrlich gemeinter Wut noch so anstellen kann, ohne sich ernsthaft lächerlich zu machen.

Die Musik von Van Urst verkommt nie zum stumpfen Geknüppel

Allerdings scheint durch die Wut und den Zorn immer wieder auch eine abgeklärte Altersweisheit hindurch, die leicht zu erklären ist. Schließlich sind Van Urst keine Nachwuchspunks mehr, sondern haben alle schon ein paar Jahre auf dem Buckel und sich Meriten erworben in anderen Bands. Frontmann Kastning war bei Kate Mosh, Schlagzeuger Matthias Horn bei SDNMT (Seidenmatt), andere bei Kapellen, die Jagoda, Future Fluxus oder Rotor hießen oder noch heißen. Eine Supergroup, wenn man so will.

Eine Supergroup, die vor allem auf der Bühne ihre Qualitäten entwickelt. Denn was auf dem Debütalbum bisweilen an seiner eigenen Vertracktkeit leidet, wird im Konzert zu meditativen Klangreisen weiter entwickelt oder notfalls im Krach aufgelöst. Aber nur so lange, bis sie zurückkehren zu einer schwebenden Selbstverständlichkeit. Denn Van Urst besitzen etwas, was nicht viele Rockbands, erst recht kaum Postrockbands besitzen: die Fähigkeit zu grooven. Nicht dass das, was sie machen, gleich Tanzmusik wäre, aber es verkommt auch niemals zum stumpfen Geknüppel. Selbst im besinnungslosesten Lärmanfall geben sie ihre Struktur nicht auf, hat der Noise seinen Sinn, ist Schlusspunkt und Katharsis eines sich langsam steigernden Songaufbaus.

Schließlich wissen Van Urst nicht nur, wie man einen Song beginnt, sondern eben auch nur allzu gut, wie man ihn anständig wieder zu Ende bringt.

Van Urst: „Van Urst“ (Flight 13/ Broken Silence)

Van Urst live, 18. 12., 19 Uhr, Schokoladen Mitte