Drama um Torwart

KATERSTIMMUNG Das Theater und die Wirklichkeit – die Witwe von Robert Enke erwägt eine Klage gegen „Depression“ von Fritz Kater am Gorki-Theater

Das Mitgefühl mit diesen Bühnenfiguren ist groß und wächst mit ihrer Angst

Klar, wer am vergangenen Samstag in der Premiere von „Demenz, Depression und Revolution“ im Berliner Gorki-Theater saß, dachte an Robert Enke, den ehemaligen Torwart der deutschen Fußballnationalmannschaft, der sich 2009 als Folge einer Depression das Leben nahm. Denn das Kapitel „Depression“ des neuen Stücks von Fritz Kater, dem Autoren-Alias von Regisseur Armin Petras, erzählt stringent und berührend die Geschichte eines Torwarts, der sich umbringt. Teresa Enke, Robert Enkes Witwe, erfuhr davon durch einen Reporter der Bild. Sie hat einen Anwalt eingeschaltet, weil sie möglicherweise ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sieht. Das Gorki-Theater bedauert in einer Stellungnahme außerordentlich, Frau Enkes Gefühle verletzt zu haben, und verzichtet vorläufig auf weitere Aufführungen.

Das Leben des jungen Torwarts und seiner Frau, wie es Petras auf die Bühne gestellt hat, ist anstrengend: neue Vereine, neue Städte, belauert von den Medien, auf die Reservebank gesetzt vom Trainer. Haustiere rücken in Katers Version an die Stelle der vermissten sozialen Kontakte in den luxuriösen Wohnungen. Die Schauspieler Michael Klammer und Aenne Schwarz stehen, nur begleitet von herzzerreißender Musik, allein auf einem schmalen Streifen Bühne, vom Raum dahinter abgetrennt durch einen regenfeuchten Vorhang. Alles verengt sich in diesem Alltag. Gegenüber der hohen Aufmerksamkeit, die der Torwart auf dem Platz erfährt, steht die lange, schwer zu füllende Zeit dazwischen. Die Munterkeit, mit der das Paar sportliche Siege feiert, wird in Petras Inszenierung immer mehr zu einem trotzigen Dennoch gegen die Situation der Isolation. Schicksalsschläge kommen hinzu. Das Mitgefühl mit diesen Bühnenfiguren ist groß und wächst mit ihrem Nicht-reden-Können über die größte Angst. Im Grunde bräuchte es gar keine Depression mehr, um an ihrer Stelle zu verzweifeln. Wenn die Inszenierung so weit gekommen ist, spielt es für die Zuschauer kaum noch eine Rolle, auf welcher Vorlage das Stück beruht.

Dennoch ist es gut, dass das Gorki-Theater und der Henschel-Theaterverlag auf Teresa Enke und das Schreiben ihres Anwalts Heiko Klatt reagieren und nach einer Lösung suchen, um eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Dabei spielt auch die Frage eine Rolle, inwieweit der Stücktext die im Piper-Verlag erschienene Enke-Biografie von Ronald Reng („Ein allzu kurzes Leben“) benutzt. Allerdings ist sie nicht die einzige Quelle der Information über Enke. Man findet Episoden, die das Stück aufgenommen hat, auch bei Wikipedia oder in Nachrufen auf den Torwart.

Natürlich birgt die Nähe von „Depression“ zur wahren Geschichte Robert Enkes Erregungspotenzial. Seinem Tod folgte eine Art Volkstrauer. Man konnte das auch als eine Form von gesellschaftlicher Bußübung gegenüber dem Versagen von Hilfe zu Lebzeiten des Fußballprofis sehen. Das öffentliche Interesse an ihm war Teil des Dramas des Verschweigens seines Leidens.

Genau aus dieser schizophrenen Haltung der Depression gegenüber war die Geschichte auch von Interesse für Fritz Kater, der sein Stück mit „Studie zu drei Mythen der Gegenwart“ untertitelt hat. Das Wissen um diese Doppelgesichtigkeit bildet die Folie der Rezeption des Stücks. Aber zugleich scheint dieses Thema ein viel zu großer Brocken, um allein von den beiden Figuren des Stücks gestemmt zu werden – ein Ungleichgewicht, das einen letzten Endes auch etwas ratlos aus der Inszenierung entließ. KATRIN BETTINA MÜLLER