Versponnen und unterschätzt

ROCK Zum Mercury-Rev-Konzert im Postbahnhof finden sich viel zu wenige Leute ein – dabei zeigte die US-Band um Sänger und Gitarrist Jonathan Donahue, warum sie Ruhm verdient hätte

Sie blieben die kleine Band, die immer irgendwie neben dem Zeitgeist lag

Das Zeitalter des Ruhms dauerte nicht lang an für diese Band. Vielleicht zwischen 1998 und ungefähr 2001, nämlich mit dem Album „Deserter’s Songs“ und der nachfolgenden „All is Dream“, mit Major-Label-Vertrag und Radioeinsatz wenigstens für „Goddess on a Highway“, mit den alten Mitstreitern The Flaming Lips an der Seite und der symphonischen „Übermusik“ (Eric Pfeil), die sie damals gemacht haben, konnten sie etwas Ruhm schöpfen. Etwas. Nie so viel, wie sie verdient hätten. Denn auch das wurde an diesem milden Novemberabend im Postbahnhof klar: Sie haben nicht eine Handvoll, sie haben übermäßig viele verdammt gute Songs. Und zu wenige wollen sie hören.

So verlor sich eine überschaubare Zuschauerzahl in der vorderen Halle, was dem Spirit der Band und der Euphorie aber keinen Abbruch tat. Die aus Buffalo im Bundesstaat New York stammenden Mercury Rev, die inzwischen wieder zu fünft unterwegs sind, hatten schnell alles im Griff. Der nicht unbedingt kristallklare Sound in der Halle pegelte sich ein, die Lärmwand bot der immer fragil wirkenden Stimme des Sängers und Gitarristen Jonathan Donahues genug Raum.

Und Donahue und Band gaben sich vom eigenen Abstieg – vor Jahren noch haben sie problemlos die größere Halle nebenan gefüllt – unbeeindruckt. Im Gegenteil, sie waren schnell in ihrem Element.

Ein Zampano

Donahue gab den Zampano, gestenreich, listig, äußerlich die edel wirkende Ausgabe eines Rotwein-Punks à la Joe Strummer, nur dass der Wein aus der Flasche getrunken wurde und keinesfalls aus einem Tetrapak. Dafür ist er süß und schwer, und es schwingt immer eine Ahnung von Abgründen, Untiefen, den bösen und schwarzen Seiten mit, immer etwas Drogeninduziertes, da finden sich Restspuren von LSD in diesem Rotwein, wenn man so will. Dazu kommen Texte, die eine Naturromantik beschreiben und stets den Kitsch streifen. Das kann durchaus mal esoterisch wirken.

Und so wurden Donahues Gesten, die den ganzen Abend bestimmen sollten, immer anrührender und einschließender, während die Band ihren Sound in Richtung Stadionrock der achtziger Jahre trieb. Nicht ohne die typischen psychedelischen Seltsamkeiten, den nötigen Lärm und immer wieder unfassbare Sound- und Songstrukturideen. Sie waren irgendwie gleichzeitig Queen und Killing Joke, hatten etwas Orchestrales in ihrer Musik. Keyboarder Jesse Chandler schreckte auch nicht davor zurück, bei drei Liedern die Querflöte auszupacken – ein Instrument, das in der Rockmusik der vergangenen Jahrzehnte nicht gerade en vogue war. Die Flötenklänge aber fügten sich gut ins Ganze.

Es ist bezeichnend, dass Mercury Rev über die lange Zeit ihres Bestehens immer die kleine, versponnene Band blieben, die genauso groß sein sollte wie die genannten, aber irgendwie immer neben dem Zeitgeist lag, genau neben dem Massengeschmack, neben dem jeweils aktuellen Trend.

Kurzatmiger Stadionrock

Also gab es keine Disco in den Songs, und der Stadionrock, den sie spielten, reicht gerade einmal bis zum Tresen und dem „wrapped“ Raucherbereich, einem kleinen, vollständig in Plastik gepackten Außen. Sie spielten alle Lieblingslieder, von „Endlessly“ über“You’re My Queen“ bis zu „Holes2, allerdings unter Auslassung des noch viel spinnerteren Frühwerks (ihr Debüt erschien 1990). Dafür gibt es ein neues Album, das erste nach sieben Jahren, es heißt „The Light in You“ und bietet etwas mehr beat- und bassbasierte Stücke, die sich an diesem Mittwochabend hervorragend ins Gesamtset fügten.

„The Light in You“ ist bei Bella Union, einem kleinen Indielabel, erschienen. Die großen Zeiten sind eben passé. Aber oh, sie waren gut. Sie waren sehr gut. Schade für die, die sie nicht mitgemacht haben, damals und an diesem Mittwochabend im Postbahnhof. René Hamann