piwik no script img

Abgaswerte, Allah und AkademisierungDeutschland kann vom Süden lernen

Zu Hause bei Fremden

Von

Miguel Szymanski

Je länger ich im Süden bin, desto bewusster wird mir das pädagogische Potenzial der Iberischen Halbinsel für Deutschland. Drei Themen sind heute aktuell, wenn hier über Deutschland gesprochen wird: die falschen Abgaswerte, die falschen Akademikertitel und eine als falsch empfundene Willkommenskultur, weil sie täglich in Aggressionen gegen eine vermeintliche Allahisierung des deutschen Christenlands degeneriert.

Deutschland mag die Wirtschaftslokomotive Europas sein, und die deutsche Leitkultur wird ebenso bewundert wie Wagner, Porsche und Doggen. Aber damit es von der deutschen Lokomotive und dem europäischen Geist nachher nicht heißen muss: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin und ward nicht mehr gesehen“, ist es gut, ab und an den Blick von außen nach innen zu richten. Nicht nur, weil wir in Portugal und Spanien die Islamisierung hinter uns haben.

Wer die arabische Welt kennt, weiß, dass sich das Verhalten gegenüber Gästen (umgekehrt proportional zum Verhalten gegenüber Menschen allgemein) zu einer hohen Kunst entwickelt hat. Davon hat die Iberische Halbinsel erheblich profitiert. Wahrscheinlich konnte das islamische Experiment in Portugal und Spanien nur wegen unserer Vorliebe für Serrano-Schinken, Rotwein und Heiligenbilder nicht noch länger gut gehen. Das portugiesische und spanische Wort für „hoffentlich“ ist bis heute „oxalá“/“ojalá“, vom arabischen Insch’Allah. Die Islamisierung hat zwar nur sieben Jahrhunderte gedauert, aber prägt heute noch das Verständnis von Gastfreundschaft. Portugal etwa hat eine Willkommenskultur, die ohne regelmäßige Brandanschläge auskommt.

Auch was die falschen oder unrechtmäßig erworbenen akademischen Titel angeht, hat der Süden einiges zu sagen. Wer die Mechanik der deutschen Seele vom Süden aus betrachtet, staunt über die Steifheit, mit der Themen des einfachen sozialen Lebens wie die intellektuelle Probität gehandhabt werden. Menschen von Lissabon bis Leipzig empfinden akademische Titel als imposant. Nur wundern sich Südeuropäer, wie schwierig sich Deutsche das akademische Titelholen machen. Oder dass die Titelbesessenheit der Deutschen auf und dran ist, ein drittes Minister-Opfer im Merkel-Kabinett zu fordern. Erst ein Adliger, dann eine Forscherin – und jetzt eine Medizinerin? Das alles, nur weil sie nicht in der Lage waren, eigenes Gedankengut zu zeugen?

In Portugal sind Doktortitel nach deutschem Recht völlig irrelevant, denn jedes Universitäts- oder Fachhochschuldiplom bewirkt die offizielle Anrede als „Doutora“ oder „Doutor“ und die respektive Titelabkürzung „Dra.“ und „Dr.“ in Urkunden und Dokumenten. Im alltäglichen sozialen Umgang braucht man nicht einmal eine Universität von innen gesehen zu haben. Ein Anzug oder eine gewählte Ausdrucksweise reichen, und schon geht jeder Bankangestellte automatisch zum respektierlichen „Senhor Doutor“ über. Nur wenn jemand in die Politik geht, wird es etwas kritischer. Der akademische Titel im offiziellen Lebenslauf sollte irgendwie dokumentarisch belegt werden können.

Mehrere Minister und der ehemalige Premierminister mussten sich deswegen aber nicht mühevoll eine Doktorarbeit zusammenplagiieren oder gleich ihr Amt aufgeben. Der ehemalige Regierungschef etwa hat sich sein Hochschuldiplom diskret im Unisekretariat einer Privatuni ausstellen lassen, ohne Examina abgelegt zu haben. Als neugierige Journalisten in den Archiven stöbern wollten, wurde die Privatuni geschlossen, die Archive verschwanden. Generationen deutscher Minister können noch viel vom Süden lernen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen