Lieber über Jesus reden als über Nazis, die Klamotten spenden
: Weißer Adler auf schwarzem Grund

Foto: Ute Mahler/Ostkreuz

Zumutung

von Anja Maier

Hässlich wird es dieser Tage. Jeden Tag ein bisschen hässlicher. Erst nass, dann kühl, schließlich kalt. Und immer grau. In der Flüchtlingsunterkunft bei uns im Dorf fragen die Bewohner schon an, ob dies hier, dieses Wetter, der viel beschworene deutsche Winter sei. Nein, antworten wir dann, der Winter kommt doch erst noch. Das hier, dieses Schauspiel aus Dunkelheit, Nebelsuppe und Hundescheiße im Laub, ist der deutsche Herbst. (Was sonst noch unter dem deutschen Herbst verstanden wird, verschweige ich lieber. Unsere neuen Nachbarn könnten eine Vorstellung davon bekommen, wozu die Deutschen, außer Fremde anzupöbeln, sonst noch alles in der Lage sein könnten.)

Die Flüchtlinge nicken und ziehen ihre Jacke noch ein bisschen fester um die Schultern.

Diese Jacke, aber auch die Schuhe und die Strümpfe, das Shirt und die Mütze haben sie von der örtlichen Kleiderkammer bekommen. Auch ich habe gespendet. Einen Daunenmantel zum Beispiel, den ich letzte Woche an einer auf dem Vorortbahnhof wartenden Frau wiedererkannt habe. Sie sah – ich muss das leider so sagen – ziemlich unförmig darin aus. Während ich eher über die Körpermaße einer großen Mitteleuropäerin verfüge, sah die Dame in dem für sie bodenlangen Mantel aus wie die Darstellerin einer Performance im öffentlichen Raum, die eine grausame Regie in eine schwarz gefärbte Wolke gestellt hatte.

Aber was soll ich machen? Kleinere Konfektionsgrößen zu spenden ist mir schier unmöglich.

Auch F., der mit meinem Mann seit Neuestem im Tischtennisverein trainiert, trägt gespendete Kleidung. In Aleppo hat F. auch schon gespielt. In Deutschland kommt ihm das donnerstägliche Training sehr recht. Mit seiner Frau und den beiden Kindern bewohnt F. ein Zimmer „in the Heim“, da tut es gut, einmal pro Woche rauszukommen. Nur das Bier nach dem Training schlägt F. immer aus. Stattdessen möchte er mit meinem vor 35 Jahren aus der Kirche ausgetretenen Mann auf der Heimfahrt immer wieder über Jesus sprechen. Keine ganz einfache Kommunikation.

Eine eindeutige Kommunikation gab es allerdings letzte Woche, als F. vor dem Training seine gespendete Jacke auszog und darunter ein ebenfalls gespendetes schwarz-rot-weißes Landser-Shirt zum Vorschein kam. Eine martialische Fraktur-Klamotte, die kräftig nach Weichspüler duftete.

Das Wiehern seiner neuen, leider dem Christentum nicht ausreichend zugeneigten Vereinskameraden wusste F. natürlich nicht zu deuten. Was war bitte so witzig an dem stolzen weißen Adler auf schwarzem Grund? Trägt man das nicht so, fragte F. „Nur die Idioten“, antworteten die Sport-Kumpels. Sie übereigneten F. eines ihrer – wie ich finde, ebenfalls sehr hässlichen – Vereinstrikots: grasgrün und mit Bet-&-Win-Werbung auf der Brust.

Auf der Heimfahrt versuchte F. wieder eines seiner Jesus-Gespräche anzuzetteln. Mein Mann ließ sich darauf ein. Immer noch besser als über Nazis zu sprechen, die ihr Landser-Shirt spenden. Gegen diese Logik schien Jesus ein geradezu simples Thema zu sein.

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