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Archiv-Artikel

„Was soll ich dagegen machen?“

Einige Zeitarbeitsfirmen in Bremen operieren offenbar mit unseriösen Methoden. Mitarbeiter beklagen unzumutbare Arbeitsbedingungen, die Gewerkschaft spricht von „Erpressung“. Berufsverband und Arbeitsagentur ist das unbekannt

bremen taz ■ Sie sitzen im Gewerkschaftshaus, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen. Der 40-jährige Frank* ist Leiharbeiter, der 23-jährige Karsten* war es bis gestern. Denn seine Firma hat den Bremerhavener entlassen – in der Probezeit und ohne Begründung. Karsten weiß, was es heißt, zu arbeiten. Er hat zwar keinen Beruf gelernt, will aber nicht von Hartz IV leben und hatte deshalb bei einer Serviceagentur angeheuert.

Schon nach einigen Tagen bekam er den ersten Job vermittelt. „Es ging um 3.53 Uhr vom Bahnhof in Bremerhaven los, mit dem Zug nach Bremen. Dann bin ich zu Fuß in die Innenstadt, da hat mich jemand mitgenommen bis Wilhelmshaven. Da habe ich elf Stunden gearbeitet – und dann ging das Ganze wieder zurück“, erzählt der junge Mann, der in diesen Tagen nicht mehr als drei Stunden Schlaf bekommt. Das Fahrgeld zahlt ihm keiner, auch die Verpflegungspauschale erhält er nicht. Laut Tarifvertrag hätte ihm eine Unterkunft gestellt werden müssen – Fehlanzeige. Auf Beschwerden reagierte der Arbeitgeber mit Kündigung.

„Kein Einzelfall, dass Zeitarbeitsfirmen ihre Leute derartig mies behandeln“, sagt Karin Peetz, Gewerkschaftssekretärin bei der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Die Mitarbeiter würden schlecht bezahlt, manchmal müssten sie mit 1.000 Euro im Monat auskommen. Ausfallzeiten werden nicht ersetzt, sagt Peetz, die offen von Erpressung spricht, denn: „Die Menschen können sich nicht wehren.“ Leiharbeiter müssten oft weite Wege auf sich nehmen, die Fahrzeit würde häufig nicht bezahlt. „Es gibt überdurchschnittlich viele schwarze Schafe in dieser Branche, die sich nicht an die Tarifverträge halten“, sagt Karin Peetz.

„Es gibt schwarze Schafe wie in jeder anderen Branche auch“, meint hingegen Bettina Schiller. Die Bremer Landesbeauftragte beim Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) sagt von sich selbst, dass sie Verbandsarbeit mache, um diese Unternehmen zu finden und gegen sie vorzugehen. Aktuell seien ihr aber keine Verstöße gegen das Tarifrecht bekannt.

Frank kann darüber nur lachen. Seit über drei Jahren ist er bei einer Zeitarbeitsfirma, für 9,71 Euro die Stunde arbeitet der gelernte Elektriker. Für seinen letzten Einsatz habe er nach Tschechien fahren sollen, die Fahrtkosten sollte er vorstrecken. „Wovon?“, fragt der 40-Jährige. Als er den Job abgelehnt habe, habe man ihm keine anderen Arbeitsgelegenheiten vermittelt, dadurch verdiente er noch weniger. „Ich habe Urlaub nehmen müssen, weil angeblich keine Arbeit da war“, sagt er. Früher sei es bei vielen Leiharbeitern üblich gewesen, dass sie irgendwann in einem Betrieb hängen blieben und dort fest angestellt worden seien – das sei vorbei.

Berufsverband und Arbeitsagentur schätzen den „Klebeeffekt“ nach wie vor auf rund 30 Prozent. Die Arbeitsagentur vermittelt Arbeitslose mittlerweile nicht ungern an Leihfirmen, von denen es „in Bremen deutlich mehr gibt als in anderen vergleichbaren Städten in der Bundesrepublik“, sagt Bettina Schiller von der IGZ. Warum das so ist, kann sie nicht sagen. „Die Branche boomt, weil es viele Menschen gibt, die keine Alternative haben, wenn sie arbeiten wollen“, meint Karin Peetz. Leiharbeiter hätten oft ungerechtfertigt einen schlechten Ruf. Flögen sie wie Karsten aus einer Leiharbeitsfirma, sei es für sie umso schwerer, einen neuen Job zu finden.

Karsten hat das schon einmal erlebt. Seine Zeitarbeitsfirma hatte ihm in der Probezeit gekündigt, nur um ihn ein paar Monate später wieder einzustellen. Nun ist er wieder entlassen worden. Doch das Unternehmen könnte ihn weiter drangsalieren. Wenn sein ehemaliger Chef ihm ein Jobangebot macht, das er ablehnt, kann der Arbeitgeber dies der Arbeitsagentur melden. Dann könnte die ihm die Leistungen kürzen. Erpressungspotenzial über die Kündigung hinaus. Für Karsten ein gewohntes Bild: „Was soll ich dagegen machen?“ kay müller